Sonntag, 29. Januar 2012

30 Türken, ein Perser, eine Finnin und Ich.

- Eine Busfahrt nach Istanbul -

Was erwartet man von einer Busfahrt nach Istanbul? Die bessere Frage: Warum fährt man überhaupt mit dem Bus? Gute Frage! Ich stehe am Busbahnhof in München und stelle mir genau diese Frage, und werde sie mir auch noch öfters während dieser Fahrt stellen. Um 18.00 Uhr ist die Abfahrt angesetzt, doch auch um 19.00 Uhr vom Bus weit und breit keine Spur. Von der elektronischen Anzeige verschwindet der Bus um kurz nach 18.00 Uhr. Zumindest beruhigt mich ein sehr eifriger Bahnhofsarbeiter der im 10 Minuten Abstand behauptet, der Bus komme jetzt gleich. Januar in München. Es ist kalt. Es ist Nass. Der Wind am Busbahnhof geht unter die Kleidung, bis auf die Knochen.

Neben mir steht Fahrsed der Perser. Ihm, obwohl doppelt so viel an wie ich, macht der Wind deutlich mehr zu schaffen als mir. Er zittert am ganzen Körper. Seine Füße will er dennoch nicht bewegen. Wie ein, von Erdbeben geschütteltes, Monument steht er die ganze Zeit am selben Fleck. Er hat sich zuerst als Fred vorgestellt. Komischer Name für einen offensichtlichen Perser.
Auf Nachfrage stellt sich heraus das er die amerikanische und iranische Staatsbürgerschaft besitzt. Sicher eine sehr angenehme Konstellation in der heutigen Zeit. Er kam auf Deutschland um zu arbeiten und wollte dort auch leben. Das funktionierte aber nicht und so ist er auf dem Weg in den Iran. Er liebt Deutschland und dessen gesundes Essen, überall anders gäbe es eh nur GMF (Genetic modified Food). Die Reise in den Iran bezeichnet er demnach als „from Heaven to Hell“. Fahrsed und ich warten auf den Bus. Warum eigentlich sonst niemand? Kommt der Bus wirklich noch? Es ist scheißkalt!

Es vergeht nochmal eine halbe Stunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt, und der Bus fährt in den Bahnhof ein. Da er bereits in Dortmund gestartet war, sitzen in dem Bus bereits ca. 30 Türken, alle zwischen 40 und 70. Beim Einladen des Gepäcks stellt sich heraus das in München noch Maju, eine Finnin, zusteigt. Sie hatte sich zum warten einen scheinbar besseren Platz gesucht.
Bevor wir einsteigen waren im Bus noch zwei Sitzreihen unbesetzt. Maju steigt als erste von uns ein und besetzt eine Sitzreihe gekonnt mit ganzer Länge. Hätte ich auch gemacht. Der Perser und ich teilen uns demnach die andere. Endlich im warmen, der Rest ist mir egal. Wir bekommen einen Cai serviert und kurz nach der ersten Pause falle ich den Halbschlaf.

Um kurz nach 00.00 Uhr schreckt mich ein dumpfes Geräusch aus dem Schlaf. Gefolgt von einem allgemeinen Raunen der Passagiere. Als ich nach vorne blicke, sehe ich die Ursache. Ein Schnee- oder Eisbrocken hatte sich von einer Tunneleinfahrt gelöst und die Windschutzscheibe mit allgegenwärtigen Rissen versehen. Der Fahrer läßt sich davon aber nicht beeindrucken. Ohne jegliche Reaktion setzt er die Fahrt fort, er wird nicht mal langsamer. Der Beifahrer wischt fortan, im 10 Minuten Rhythmus, die gesplitterte und immer wieder anlaufende Scheibe. Sind scheinbar einiges gewöhnt, diese türkischen Fahrer. Von deren Ruhe lasse ich mich anstecken und falle wieder in den Schlaf. Er sollte nicht lange dauern. Ca. 2 Stunden später weckt mich das Geräusch von knisternden Chips- und Keksverpackungen. Aber es kommt nicht von einzelnen Personen. Es hört sich an als haben alle türkischen Mitfahrer gleichzeitig beschlossen Chips und Kekse zu essen. Bin ich etwa auf eine, der westlichen Kultur unbekannte, Zwischenmahlzeit gestoßen: die türkische 2.00 Uhr Nacht Cracker-Time? Ich bin zu müde um mich weiter damit zu beschäftigen.

Der nächste Morgen. Wir fahren irgendwo durch Italien. Bei den Pausen, die alle drei Stunden eingelegt werden, fällt mir auf das uns die ganze Zeit über ein zweiter Bus der gleichen Gesellschaft begleitet. Jedoch ohne Fahrgäste. Ich kann mir denken warum. Der Laderaum dieses Buses ist wohl bis oben hin mit Waren aus Deutschland gefüllt. Wenn jemand fragen würde, gehören diese den Fahrgästen. Dies bestätigt sich auch am folgenden Tag an der türkischen Grenze. Aber soweit sind wir noch nicht. Unsere Fahrt geht weiter entlang der italienischen Mittelmeerküste, wo wir um 12.30 Uhr das frühlingshafte Bari erreichen. Wir haben die Verspätung nicht aufgeholt und die Fähre, die uns nach Igoumenitsa übersetzten soll, läuft planmäßig um 13.00 Uhr aus. Das erste Mal auf dieser Fahrt sehe ich bei den türkischen Fahren ein wenig Hektik aufkommen. Dennoch schaffen sie es die Tickets zu organisieren und die Hafenarbeiter zu überreden uns auf die Fähre zu lassen. Das personalisierte Ticket das mir in die Hand gedrückt wird ist kurios. Ich heiße nun SCHANEDER SIARAN. Nationalität: Türke. Auf Nachfrage und da alle anderen Mitfahrer mit Ihren Ticket zufrieden sind, hoffe ich einfach das alles gut gehen wird. Dies bestätigt sich dann auch beim betreten der Fähre.

Mit einer Fähre über das Mittelmeer fuhr ich zuletzt vor weit mehr als 10 Jahren und daher genieße ich es der Fähre, beim Auslaufen aus dem Hafen vom Oberdeck aus zuzusehen. Die knapp 10-stündige Fahrt verbringe ich zumeist mit Maju und Fahrsed und angenehmen Diskussionen über das Leben und das Reisen. Diese werden dann kurz vor Ende der Fährfahrt von Serri jäh beendet. Serri, den ich bei einer vorherigen Pause kennengelernt hatte, ist mit 40 der jüngste der türkischen Mitfahrer und ein Musterbeispiel der Integration in Deutschland. Irgendwie aber auch das Gegenteil davon. Serri lebt in Stuttgart, ist mehr Schwabe als Türke und so spricht er auch. Er und seine Brüder besitzen dort mehrere Nachtklubs und Spielhallen. Maju und Fahrsed haben den Platz schon mehr oder weniger fluchtartig verlassen und bevor ich mich dagegen wehren kann, breitet Serri sein gesamtes Leben vor mir aus. Seine Frau, mit der er zwei Kinder hat, verließ ihn wegen seines Lebensstils. Der besteht hauptsächlich aus Frauen, Drogen und Partys. Aber er steht nun mal drauf und zum Glück ist er wieder in eine Frau verliebt, die eben genau wegen diesem Lebensstils nichts von ihm will. Armer Serri. Noch in diesem Gespräch entschließt er sich diese Frau zu heiraten, am besten sofort, er ist schließlich schon 40. Aber erst muss er noch sein „Buisness“ in Istanbul erledigen. Immer wenn auf der Fahrt der zweite Bus in der Nähe ist, ist Serri es auch. Er ist ein großartiger, freundlicher und  offenherziger Mensch und ich wünsche ihm anschließend alles Gute auf das er irgendwann zur Ruhe kommt.

Als wir in Igoumenitsa anlegen steigen wir wieder in Bus und fahren die restliche Nacht hindurch bis wir am Morgen des dritten Tages endlich die türkische Grenze erreichen. Serri und ein paar andere „Händler“ versorgen jeden der Grenzposten tütenweise mit Zigaretten und anderem Bakschisch und so können wir relativ unbehelligt in die Türkei einreisen wo wir, zur Mittagszeit und in genau zur vorher angegebenen Stunde, Istanbul erreichen. Am größten und verwirrensden Busbahnhof den ich bisher gesehen habe.

Rückblickend bekam ich genau das was ich von dieser Fahrt erwartete: Eine Busfahrt nach Istanbul bringt verschiedenste Menschen und Kulturen zusammen und war ein Erlebnis auf das ich nur ungern verzichtet hätte.

6 Kommentare:

  1. Sehr guad gschriem Hack! Freu mich immer von dir zu lesen! Hau rein!

    AntwortenLöschen
  2. Schaneder Siaran; Nationalität: Türke :D

    Freut mich, dass trotzdem alles geklappt hat! Dem "hau rein!" von oben schließ ich mich an!!

    AntwortenLöschen
  3. geile sache, schaneder

    hört sich ja schon mal echt spannend an :)

    ebenso, hau rein und lass bald wieder was hören!

    AntwortenLöschen