Dienstag, 31. Juli 2012

Wo sind die Kamele?

Entlang der Seidenstraße.

Buchara, Samarkand, Khiva. Städtenamen bei denen man zugleich den Orient denkt. An Geschichten aus 1001 Nacht. An Oasen inmitten von Wüsten und an Kamelkarawanen, die auf den sandigen Handelswegen zwischen diesen Städten verkehren. Nun liegt das beschriebene doch einige Zeit zurück, doch vieles vergangene ist auf diesem Herzstück der Seidenstraße noch immer erkennbar. Zwischen den Städten ist die Natur wohl noch immer die gleiche und feilschende Händler sind überall. Doch eines vermisse ich schmerzlichst: Die Kamele.

Wo es früher noch einen Tage langen manchmal Wochen langen, schaukelnden, unbequemen Ritt auf diesen Tieren bedurfte, durchschneiden heute Gleise und asphaltierte Straßen die Steppen und Wüsten. Die Modernisierungen der Sowjetära haben vor nichts Halt gemacht und daher reist es sich ungleich angenehmer als in vergangenen Zeiten. Startpunkt Taschkent. Knappe 5 Stunden in einem alten russischen Zug und man steht auf einem Platz der wie kein anderer die Hochzeit der Seidenstraße verkörpert. Der Registan in Samarkand. Dieser Platz ist eines der wohl beeindruckendsten Bauwerke Zentral Asiens. Drei majestätische, reich verzierte Medressen umschließen einen großzügigen, rechteckig, angelegten Platz. Schon lange vor meiner Reise habe ich immer wieder über Bilder dieses Platzes gestaunt, doch diese geben, obwohl restauriert, nur ansatzweise die über 500 Jahre alte Bauwerkskunst wieder. Nur eines muss man den Erbauern zur Last legen: Auf der sogenannten „Löwen Medresse“ sind skurillerweise Tiere abgebildet die vielleicht Löwen darstellen sollen, aber dennoch eindeutig Tiger sind.

Ansonsten ist Samarkand für mich eher enttäuschend. Der Registan mag überwältigend sein und neben diesem gibt es in Samarkand noch die 40 Meter hohe Bibi-Khanym Moschee, und die Straße der Mausoleen. Alles schön und gut, doch diese umzäunten Bauwerke sind mehr oder weniger alles was vom alten Samarkand noch übrig ist. Der Rest der Stadt ist eine alte Sowjet-Stadt wie jede andere. Mit dem Unterschied dass sie Geschichte beinhaltet. Auch wenn diese manchmal nicht allzu genau genommen wird. Im abseits gelegenen Astrologie Museum lerne ich dass der erste Mensch auf dem Mond Edvin „Buzz“ Oldrin war und nicht, wie der Großteil der Menschheit zu wissen gedenkt, Neil Armstrong. Oldrin besuchte einst Usbekistan und unterstützte ein den Sternen gewidmetes Projekt. Ein kleiner Schritt für Oldrin, ein großer Schritt für seine Erwähnung in der Geschichtsschreibung. Zumindest in Usbekistan.

Zurück zur Stadt. Horden von Touristengruppen im Pensionsalter wandern zwischen Registan und Bibi-Khanym Moschee auf der, extra für Touristen angelegten, neumodischen Verbindungsallee. Dabei übersehen die meisten den einzigen Teil Samarkands der den Flair dieser Stadt etwas retten könnte. Das alte jüdische Viertel. Obwohl nur noch wenige jüdische Familien übrig sind und dort heute meist Muslime wohnen, versprüht dieser heruntergekommene Stadtteil mehr Charme als das restliche Samarkand zusammen. Hier lebt Samarkand und gleicht nicht einem Freizeitpark für westliche Touristen. Dass sich meine Meinung wohl etwas von der Meinung des usbekischen Tourismusministerium unterscheidet merke ich daran, dass das Viertel hinter der Fassade der Verbindungsallee verborgen wird. Nur eine einzige unscheinbare Stahltür verbindet diese zwei, komplett verschieden, wirkenden Welten.

Mit dem Zug geht es weiter Richtung Buchara, nur wenige Stunden entfernt. Während der Fahrt durch die Wüste halte ich immer wieder Ausschau ob ich nicht doch, irgendwo am Horizont, ein wildes Kamel entdecke. Ich bleibe erfolglos. In Buchara angekommen bin ich angenehm überrascht. Dort ist die Symbiose zwischen alt und neu wesentlich besser als in Samarkand gelungen. Diese Stadt ist langsam im Lauf der Geschichte gewachsen. Neuere Häuser mischen sich mit alten Gebäuden, umso mehr je weiter man sich vom Zentrum entfernt. Der Stadtkern selbst ist restauriert, und doch noch immer so wie er seit Jahrhunderten ist. Alte Gemäuer und im Herzen ein großer Teich an dem Einwohner und Touristen in den kühleren Abendstunden, gleichermaßen entspannt flanieren oder sich für eine Partie Backgammon treffen. Tagsüber sind die Straßen leer, kein Wunder da sich die Temperaturen im Sommer um die 40 Grad bewegen.

Noch immer habe ich kein Kamel in Usbekistan gesehen. Eine letzte Hoffnung bleibt. Das im westlichen Landesteil liegende Khiva. Die Fahrt dorthin ist lang, doch auch angenehm, denn in den Sowjet Zügen besitzt ein jeder Mitfahrende einen eigenen Schlafplatz mit zuvor ausgegebenen frischen Bettbezügen, Kissen und Decken. Ich würde diese Züge jederzeit gegen die schnelleren, moderneren deutschen Fernstreckenzüge eintauschen. Am Zielort angekommen behauptet meine Mitreisende Polly, während der Fahrt ein wildes Kamel gesehen zu haben. Etwas dürr und nur mit einem Höcker ausgestattet, aber immerhin ein Kamel. Meine Unzufriedenheit ändert sich dadurch jedoch nicht.

Khiva. Bis jetzt bin ich im Zwiespalt was ich über diese Stadt denken soll. Es ist die am besten erhaltende, historische Stadt Usbekistans. Die komplette alte Stadt wird von einer hohen Mauer umschlossen. Innerhalb dieser Mauer findet man kein einziges neu wirkendes Gebäude. Mit Lehm verputze Wände lassen die gesamte Stadt in einem einheitlichen Braunton erscheinen, nur durchbrochen von den türkisblau gefliesten Minaretten und Kuppeln der Moscheen. Warum also mein Zwiespalt? Einerseits kann man in Khiva sehen, besser als in jeder anderen usbekischen Stadt, wie das Leben in einer Wüstenoase vor Jahrhunderten ausgesehen haben mag. Anderseits wirkt es, obwohl Menschen innerhalb der Mauern leben, wie für die Neuzeit konserviert. Ein einziges großes Freilichtmuseum, mit Restaurants und Ramschständen für Touristen. Abends, bis in die Nacht hinein spiele ich Barfuß-Fußball mit 20 Kindern und Jugendlichen auf den beleuchteten Vorhöfen der Moscheen. Keine Nachbarn vorhanden, die sich über das chaotische laute Treiben beschweren könnten.

Und dann treffe ich auf Katja, das einzige Kamel Khivas. Katja ist im Zentrum der Stadt angebunden und ein jeder kennt diese Berühmtheit. Sie ist sozusagen das stadteigene Maskottchen. Und das seit Anbeginn der Zeit. Nur unter vorgehaltener Hand erzählen einem die Einwohner Geschichten von ersetzten und zu Futter verarbeitenden Kamelen. Fragt man in Khiva jemanden nach dem Weg wird die erste Gegenfrage stets die gleiche sein: Weist du wo Katja steht? Wenn ja: von dort aus geradeaus, dann rechts... Katja ist der Dreh- und Angelpunkt der Stadt.
Nun gut, habe ich also keine wilden Kamele gesehen, aber immerhin eine Berühmtheit.

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