Donnerstag, 31. Januar 2013

Legenden und Schamanen

Abenteuer im Nationalpark Tsagaan Nuur.


„Hast du den Deckel zugemacht?“die alte Mongolin wusste doch wie zerstreut ihr Ehegatte manchmal war. „Natürlich, denkst du ich vergesse so etwas? Wer weiß was dann passieren würde.“ erwiderte dieser. Das Runzeln auf seiner Stirn blieb unbemerkt. Zu sehr litt das Mütterchen unter der Last des mit Wasser gefüllten Kuhmagens. Das Leben in der Zentralmongolei war beschwerlich und wie täglich schmerzten dem alten Ehepaar am Ende des harten Tages ihre Glieder, als sie diese auf dem Bett in ihrer gemütlichen Jurte ausstreckten. Es war ein Tage wie sie schon so viele in ihrem langen Leben gesehen hatten. 
Der nächste Morgen hingegen verlief anders als üblich. Als die Mongolin ihre Füße auf den Boden stellte bemerkte sie eine unangenehme Feuchtigkeit. Der Boden der Jurte stand unter Wasser. Und es stieg stetig.  Hart boxte die robuste Frau ihren Gatten, der noch schnarchend auf dem Bett verweilte. „Von wegen du hast den Deckel des Brunnen zugemacht, Idiot. Schau dir an was passiert ist.“

Das Problem war bereits im Dorf erkannt worden und allgemeine Panik herrschte vor. Zu weit war der Brunnen bereits unter der Wasseroberfläche verschwunden, als dass man ihn noch per Hand verschließen könnte. Niemand konnte so tief tauchen. Die wenigsten schwimmen.  Kurz gesagt, niemand wusste was zu tun war. Das gesamte Tal drohte in den Fluten zu versinken. Ihre panischen Schreie wurden schließlich erhört. Ein junger mongolischer Held kam auf edlem Ross in das Dorf geritten und überprüfte die Lage. Er wusste sofort was zu tun war. Er nahm seinen Bogen, legte einen Pfeil an und schoss. Unter lautem Donner flog die Spitze eines Berges im hohen Bogen durch die Luft und wie von Geisterhand geleitet, stach sie präzise und exakt an der Stelle in die Wasseroberfläche, an der sich einst der Brunnen befand. Das Wasser stieg nicht mehr und dem Held zu Ehren wurden tagelang Freudenfeste veranstaltet. Der große weiße See, auf mongolisch Tsagaan Nuur, und mit ihm eine surreale Vulkanlandschaft waren entstanden.

Soviel zur Legende, in Kurzvision. Geschrieben auf einem Infoflyer, den mir ein alter Parkwächter am Eingang des Nationalparks in die Hand drückt. Ein schöner Flyer. Schöne Bilder, stimmiger Satzspiegel, angenehme Farbkontraste. Ganz unpassend zur Gegend in der ich mich befinde. Ein staubiges Dorf, eine alte Schranke, ein baufälliges Häuschen in dem der alte Parkwächter gelangweilt seinen Dienst vollbringt, eine ebenso baufällige Brücke und dahinter der Nationalpark. Man ist hier sehr weit weg von jeglicher Komfortzone, die Anreise ist lang und beschwerlich, aber man merkt sehr schnell dass es alles wert ist. Schon eine Kurve später steht man in einem riesigen von Bäumen bewachsenem schwarzem Feld aus Lavagestein. Vom Vulkan oder gar vom versprochenen See aber vorerst keine Spur.

Dafür entdecke ich eine Höhle, und damit die nächste Legende. Die Legende von der Höhle des gelben Hundes. Vor langer Zeit lebte Familie Khan in der Nähe des Sees. Es gab in dieser Familie die Tochter Khan. Diese war zutiefst betrübt, denn sie pflegte im geheimen eine Beziehung mit dem Sohn des Nachbarn. Dieser konnte Nachts allerdings nicht zu ihrem Bette kommen, da die Familie einen gelben Hund besaß welcher die Jurte der Tochter Khan bewachte. Zudem waren, wie es so oft unter Nachbarn vorherrscht, die Väter der beiden Familien zutiefst verfeindet. Die Tochter wurde sehr krank und Vater Khan suchte Rat bei der Schamanin des Dorfes. Diese wusste von der geheimen Beziehung und war der Tochter wohl gesinnt. Sie sagte dem Vater der Grund der Krankheit wäre der Hund, nur wenn dieser verschwindet würde die Tochter genesen. Was allerdings schwierig war denn dieser war ein sehr treues Tier und fand den Weg nach Hause, wo auch immer er ausgesetzt wurde. Deshalb brachte der Vater den Hund in die Höhle und verschloss diese mit einem großen Stein. Der Tochter ging es bald wieder besser und auch der Nachbarsohn wurde fortan des öfteren mit einem breiten Grinsen gesehen, doch noch heute soll man das Heulen des gelben Hundes aus dem inneren der Höhle vernehmen können. Ich höre nichts und setzte meine Wanderung über die Lavafelder fort, treffe dabei auf einige Mongolen auf Motorrädern, ansonsten auf Yakherden die brummend an mir vorüberziehen.

Schließlich erscheint ein schwarzer, seltsamer Berg hinter einer Kurve. Ob es sich dabei um den vermuteten Vulkankegel handelt wird mir zuerst wegen seiner abgerundeter Form nicht klar. Doch alles deutet darauf hin, um den Berg herum sind große Steinfelder aus Lavagestein. Schließlich wage ich mein Glück und besteige den Hang. Er besteht aus einem einzigen Geröllfeld, was den   Aufstieg erschwert. Immer wieder rutsche ich meterweise den steilen Hang hinab, bis ich schließlich auf allen vieren und etwas aus der Puste die Spitze erreiche. Jeder Meter hat sich gelohnt. Ich blicke in den erloschenen Vulkan und auf die Kulisse die sich dahinter befindet. Hinter dem Kegel liegt ein Tal mit schwarzem Untergrund, durchzogen von blauen Flüssen und bewaldet mit Pinien, die in der tief stehenden Sonne leuchtend grün erscheinen. Begrenzt wird es von einer hinter dem Tal liegenden Hügelkette und dem glänzend Teppich des Tsagaan Nuur, der weit hinter der Hügelkette mit dem Horizont verschwimmt. Da der Rand des Vulkankegels zudem 5 bis 10 Meter breit, flach und begrast ist, ein grandioser Platz für ein Picknick, nur die immer mehr versinkende Sonne zwingt mich schließlich dazu meinen Weg fortzusetzen.

Plötzlich stehen auf der anderen Seite des Vulkankegels einige Leute. Nicht so unüblich da der Platz einen beliebte Pilgerstätte ist, aber ich wundere mich wie diese dort hochgekommen sind. Ich umrunde den Kegel halb, zur gleichen Stelle, und finde eine Treppe vor. Hätte wohl auch den Aufstieg etwas erleichtert. Es folgt ein schneller Abstieg, eine erneute Wanderung über schwarzes Gestein und nachdem noch zwei Bäche überwunden, und ein Hügel erklommen, sind erscheint erneut die nun blau wirkende Fläche des Tsagaan Nuur. Das Tiefstehende Sonnenlicht lässt die Oberfläche an manchen Stellen milchig weiß erscheinen und man kann erahnen woher die Namensgebung kommt. Auf dem Weg hinab zum See bemerke ich den rießigen Felsbrocken der majestätisch auf einer Landzunge thront. Und damit sind wir wieder im Reich der Legende. Wir sind zurück bei Familie Khan.

Die Affäre des mongolischen Romeo und Julia Pärchens war aufgeflogen und es kam daraufhin zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien. In einem waren sich die Väter jedoch einig. Nie werde es zu einer Heirat des Nachwuchses kommen. Angesichts der unbändigen Liebe des Pärchens kam was in einem Drama kommen musste. Das Pärchen lief zum See hinab und ertränkte sich. Von der Wendung der Ereignisse überrascht, setzte sich Vater Khan daraufhin an das Ufer des See und schwörte dort zu trauern bis zu jenem Tage, an dem die Tochter wieder dem See entsteigt. Die Zeit verging und seine Haut ergraute immer mehr, bis er sich schließlich in echten Stein verwandelte. Und er sitzt dort bis heute. Er muss, angesichts der Größe des Felsen, ein riesiger Kerl gewesen sein. Oder es ist ein magischer Zauberstein der wachsen kann, wahrscheinlich.

Am Felsbrocken des alten Mannes schlage ich für die nächsten zwei Tage mein Zelt auf, erkunde die Gegend, werde nachts von vorbeiziehenden, tief röhrenden Yakherden um den Schlaf gebracht und erlebe die wohl skurrilste Begegnung meiner bisherigen Reisen. Während ich gerade mein mitgebrachtes Essen (Hartwurst, Käse, Brot) vertilge kommt ein Kleintransporter angefahren. Darin eine Gruppe Jugendliche und zwei Erwachsene. Um den Kleintransporter herum entsteht in kürzester Zeit ein Chaos dessen Sinn sich mir nicht zu erkennen geben mag. Mir entgeht dabei zudem, dass einige der Jugendlichen schon kurz nach der Ankunft verschwunden sind. Zurückkommen plötzlich drei Gestalten in aufwendigen Kostümen. Federschmuck, lange Gewänder mit angebrachten Sonnensymbolen und verdeckten schwarzen Gesichtern. Nur auf den Hüten sind finster drein blickende Augen aufgemalt. Schamanen. Sie greifen zu großen Trommeln und bringen sich in Stimmung. Nach einigen Minuten Extremtrommeln und Karuselldrehen befinden sich die Schamanen im Trancezustand und werden wankend auf vorbereitete Sitzsäcke geführt.

Nach kurzer Besinnungsphase bei der sich die Stimmen der Trance-gebeutelten ins extreme verändern,  verschwinden Runden weise kleine Schalen mit Flüssigkeiten und verschieden farbigen Pulver in den schwarzen Schlünden der Masken. Ich sitze etwas entfernt, doch eine rot gekleidete Schamanin blickt mich plötzlich durchdringend mit ihren aufgemalten Augen an. Mit kichernder Fistelstimme sagt sie etwas unverständliches zu dem Erwachsenen Ritualhelfer woraufhin dieser zu mir kommt und mich in die Runde bittet. Ich nehme ebenfalls auf einem kleinen Sitzsack gegenüber platz und sehe aus nächster Nähe in die unergründlichen Gesichter. Während die männlichen Schamanen mit kratzigen Bassstimmen unverständliches Gebrabbel von sich geben, reicht mir die weibliche Schamanin kichernd einen kleinen Löffel mit weißen Pulver. Um dass Ritual nicht durch eine unbedachte Handlung meinerseits zu stören tue ich es ihnen gleich und ziehe das Pulver in meine Nase. Kurze Zeit später sitze ich wieder vor meinem Zelt und auch das Ritual ist beendet. Aus den Schamanen werden wieder normal sprechende Jugendliche die sich noch herzlich verabschieden und dann bin ich wieder allein am Ufer des großen Weißen Sees, mit Herrn Khan, den anderen Legenden und einer brennenden Nase.

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