Die
chinesische Mauer.
Mit affengleicher
Gewandtheit springt der alte Chinese auf einen Felsen, hat plötzlich
einen Stein von der Größe eines Fußballs in den Händen, und erhebt
diesen drohend in die Luft. Er hat nur ein paar einzelnen Zähne in
dem Mund, aus dem nun unverständliche Laute hervor gepresst werden.
Wild entschlossen sein Revier zu verteidigen, ist er nicht bereit
einen Meter zu weichen. Ihm gegenüber stehen zwei Franzosen und ein
Deutscher die nun verstehen was Mao Tse Tung einst mit dem Satz: „Nur
wer die große Mauer besteigt ist ein echter Mann“ wirklich sagen
wollte.
Die große
chinesische Mauer. Hunderte Kilometer lang durchschneidet sie in
einem, von Westen nach Nordosten, verlaufenden Bogen die Landschaft um
Peking. Errichtet über absurd steile Bergkanten hinweg, zeugt sie
von den großen bautechnischem Fertigkeiten der chinesischen Kultur.
Erbaut um Mongolen und anderen Steppenbewohnern die
Einreiseformalitäten in Chinas Herz zu erschweren. Durch mehrere
verschiedene Dynastien ziehen sich die Bauarbeiten. Ihren
eigentlichen Zweck erfüllt die Mauer nie. Da sie zu keinem Zeitpunkt
durchgehend geschlossen war, wurde sie zumeist nur für die schnelle verlagerung von Truppenverbänden verwendet. Ein Bauwerk mit haarsträubenden Legenden. Selbst im Westen ist das chinesische Kindermärchen, von der aus dem Weltall zu erkennenden Mauer bekannt. Und wird geglaubt, obwohl jede 4-spurige Autobahn einfacher zu erkennen wäre, und dennoch nicht ist. Heute gibt es 5
offizielle Stellen, die Touristen besuchen dürfen. Diese sind von
Reisegruppen und chinesischen Provinztouristen derart überlaufen, dass
es schwer wird so einen Ausflug zu genießen. Und dann gibt es noch
ein paar inoffizielle, verbotene, touristisch unbekannte Stellen. An
einer von diesen spielt diese Geschichte.
War es dass was
Mao gemeint hat? Ein zwei Stunden langer Pfad. Steil bergauf zu der
ersehnten Bergkante, nur um dann von einem unverständlichen Chinesen
in schleißigen, dreckigen Klamotten daran gehindert zu werden die
letzten Paar Meter, um zum Fuß der Mauer zu gelangen, zurückzulegen.
Ok, offiziell ist es nicht erlaubt hier auf die Mauer zu klettern.
Dafür sind sogar Schilder aufgestellt worden. Eines am Beginn des
Pfades und eines ca. 20 Meter bevor man die Mauer erreicht. Genau
auf dieses hat der Chinese mit einem Textmarker „5 Yuan“(ca. 1
Euro...) unter den Haupttext geschrieben, und daneben sein Lager
aufgeschlagen. Ein klassischer Wegelagerer.
Wir waren erst
ein mal ein Wenig verwirrt, da wir nicht wussten warum uns der, nicht
englisch sprechende, alte Mann plötzlich aufhielt. Nachdem er auf
das Schild gedeutet hatte war aber dann doch alles klar. Ebenso war klar, dass wir uns nicht darauf einlassen werden. Wir versuchen ihm
verständlich zu machen dass er dazu kein Recht hat, wir auch nicht
bereit sind zu zahlen und wollen weitergehen. Der Chinese wird aber
sofort aggressiv und hält einen der Franzosen am Arm fest. Die
Diskussion wird daraufhin hitziger und wir realisieren, dass wir ohne
ernste Handgreiflichkeiten nicht so einfach weiterkommen.
Zum selben Moment
kommt ein Gruppe Chinesen den Pfad von der Mauer. Sie sprechen
etwas Englisch und wir haben daher die Hoffnung, dass sie uns zumindest
als Übersetzer helfen können.
„Der alte Mann
verlangt Geld von uns um auf die Mauer zu klettern“ erklärt einer
der Franzosen.
„Ja weil es
verboten ist hier auf die Mauer zu gehen“ erwidert die Chinesin.
„Ihr kommt
gerade von da“ sage ich, mit völligem Unverständnis über ihre
Aussage.
Es kommt aber
keine Antwort, die Gruppe sucht stattdessen schnellstens das Weite, um nicht in
die Situation hineingezogen zu werden.
Nach kurzer
Beratung entschließen wir uns es mit einer List zu versuchen. Die
Situation ist günstig. Der Weg teilt sich und ist durch einen großen
Felsen getrennt. Wenn auch wir uns teilen kann er uns nicht alle
aufhalten, die dadurch entstehende Verwirrung könnten wir nutzen
um vorbeizugehen. Schlau gedacht. Nicht schlau genug, oder vielleicht
nur nicht konsequent genug durchgeführt. Bevor wir dazu kommen, hat
der Affe unseren Plan durchschaut und sitzt mit seinem, hoch erhobenen,
Stein auf dem Felsen. Was macht man mit einem aggressiven,
störrischen Affen? Gib dem Affen Zucker! „Hier hast du deine %$§%
5 Yuan“ sage ich völlig entnervt, zerknülle einen 5 Yuan Schein
und werfe ihn neben den Pfad. Der Chinese lässt sofort seinen Stein
fallen, springt vom Felsen und schnappt sich den Schein. Und wir sind
an ihm vorbei.
So erkaufen wir
uns unsere Männlichkeit stehen aber mit unversehrten Köpfen auf der
Mauer. Es war alles Wert. Selbst die 5 Yuan. Hier oben wird uns erst
wirklich klar welche Anstrengung unternommen werden mussten um dieses
Bauwerk zu errichten. Nicht nur einmal fragen wir uns, wie es
überhaupt möglich war hier etwas zu bauen, wenn es doch auf beiden
Seiten der Mauer schier endlos, senkrecht nach unten geht. Stundenlang
wandern wir völlig alleine von Wachturm zu Wachturm, müssen dabei
teilweise mehrere Meter klettern, da besonders steile Teile im Laufe
der Zeit oft zusammengebrochen sind und werden schließlich doch auf
beiden Seiten von unüberwindbaren Brüchen zum umkehren gezwungen.
Als wir wieder zum Ausgangspunkt gelangen treffen wir auf zwei
Chinesen denen unser Wegelagerer gerade versucht Wasserflaschen, zu
einem absurden Preis, zu verkaufen. Nachdem er wieder verschwunden
ist, wahrscheinlich hat er neue Opfer erspäht, erfahren wir von den
Chinesen, dass auf diesem Teil der Mauer jedes Jahr einige Personen
abstürzen die versuchen dem Verlauf der Mauer zu folgen. Wir lenken
das Gespräch auf den Wegelagerer, doch sie lachen nur. „Der ist
hier immer, die Polizei kommt immer wieder und verjagt ihn, doch
bereits am nächsten Morgen sitzt er wieder mit Sack und Pack am Fuß
der Mauer. Sie haben es wohl inzwischen akzeptiert das er es zu
seinem Teil der großen Mauer erklärt hat. Was soll man machen?“
Eine gute Frage, auf die weder ich noch die Franzosen eine Antwort
wissen.
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