Freitag, 22. Februar 2013

Auf der Mauer, auf der Lauer

Die chinesische Mauer.

Mit affengleicher Gewandtheit springt der alte Chinese auf einen Felsen, hat plötzlich einen Stein von der Größe eines Fußballs in den Händen, und erhebt diesen drohend in die Luft. Er hat nur ein paar einzelnen Zähne in dem Mund, aus dem nun unverständliche Laute hervor gepresst werden. Wild entschlossen sein Revier zu verteidigen, ist er nicht bereit einen Meter zu weichen. Ihm gegenüber stehen zwei Franzosen und ein Deutscher die nun verstehen was Mao Tse Tung einst mit dem Satz: „Nur wer die große Mauer besteigt ist ein echter Mann“ wirklich sagen wollte.


Die große chinesische Mauer. Hunderte Kilometer lang durchschneidet sie in einem, von Westen nach Nordosten, verlaufenden Bogen die Landschaft um Peking. Errichtet über absurd steile Bergkanten hinweg, zeugt sie von den großen bautechnischem Fertigkeiten der chinesischen Kultur. Erbaut um Mongolen und anderen Steppenbewohnern die Einreiseformalitäten in Chinas Herz zu erschweren. Durch mehrere verschiedene Dynastien ziehen sich die Bauarbeiten. Ihren eigentlichen Zweck erfüllt die Mauer nie. Da sie zu keinem Zeitpunkt durchgehend geschlossen war, wurde sie zumeist nur für die schnelle verlagerung von Truppenverbänden verwendet. Ein Bauwerk mit haarsträubenden Legenden. Selbst im Westen ist das chinesische Kindermärchen, von der aus dem Weltall zu erkennenden Mauer bekannt. Und wird geglaubt, obwohl jede 4-spurige Autobahn einfacher zu erkennen wäre, und dennoch nicht ist. Heute gibt es 5 offizielle Stellen, die Touristen besuchen dürfen. Diese sind von Reisegruppen und chinesischen Provinztouristen derart überlaufen, dass es schwer wird so einen Ausflug zu genießen. Und dann gibt es noch ein paar inoffizielle, verbotene, touristisch unbekannte Stellen. An einer von diesen spielt diese Geschichte.

War es dass was Mao gemeint hat? Ein zwei Stunden langer Pfad. Steil bergauf zu der ersehnten Bergkante, nur um dann von einem unverständlichen Chinesen in schleißigen, dreckigen Klamotten daran gehindert zu werden die letzten Paar Meter, um zum Fuß der Mauer zu gelangen, zurückzulegen. Ok, offiziell ist es nicht erlaubt hier auf die Mauer zu klettern. Dafür sind sogar Schilder aufgestellt worden. Eines am Beginn des Pfades und eines ca. 20 Meter bevor man die Mauer erreicht. Genau auf dieses hat der Chinese mit einem Textmarker „5 Yuan“(ca. 1 Euro...) unter den Haupttext geschrieben, und daneben sein Lager aufgeschlagen. Ein klassischer Wegelagerer.

Wir waren erst ein mal ein Wenig verwirrt, da wir nicht wussten warum uns der, nicht englisch sprechende, alte Mann plötzlich aufhielt. Nachdem er auf das Schild gedeutet hatte war aber dann doch alles klar. Ebenso war klar, dass wir uns nicht darauf einlassen werden. Wir versuchen ihm verständlich zu machen dass er dazu kein Recht hat, wir auch nicht bereit sind zu zahlen und wollen weitergehen. Der Chinese wird aber sofort aggressiv und hält einen der Franzosen am Arm fest. Die Diskussion wird daraufhin hitziger und wir realisieren, dass wir ohne ernste Handgreiflichkeiten nicht so einfach weiterkommen.

Zum selben Moment kommt ein Gruppe Chinesen den Pfad von der Mauer. Sie sprechen etwas Englisch und wir haben daher die Hoffnung, dass sie uns zumindest als Übersetzer helfen können.
„Der alte Mann verlangt Geld von uns um auf die Mauer zu klettern“ erklärt einer der Franzosen.
„Ja weil es verboten ist hier auf die Mauer zu gehen“ erwidert die Chinesin.
„Ihr kommt gerade von da“ sage ich, mit völligem Unverständnis über ihre Aussage.
Es kommt aber keine Antwort, die Gruppe sucht stattdessen schnellstens das Weite, um nicht in die Situation hineingezogen zu werden.

Nach kurzer Beratung entschließen wir uns es mit einer List zu versuchen. Die Situation ist günstig. Der Weg teilt sich und ist durch einen großen Felsen getrennt. Wenn auch wir uns teilen kann er uns nicht alle aufhalten, die dadurch entstehende Verwirrung könnten wir nutzen um vorbeizugehen. Schlau gedacht. Nicht schlau genug, oder vielleicht nur nicht konsequent genug durchgeführt. Bevor wir dazu kommen, hat der Affe unseren Plan durchschaut und sitzt mit seinem, hoch erhobenen, Stein auf dem Felsen. Was macht man mit einem aggressiven, störrischen Affen? Gib dem Affen Zucker! „Hier hast du deine %$§% 5 Yuan“ sage ich völlig entnervt, zerknülle einen 5 Yuan Schein und werfe ihn neben den Pfad. Der Chinese lässt sofort seinen Stein fallen, springt vom Felsen und schnappt sich den Schein. Und wir sind an ihm vorbei.

So erkaufen wir uns unsere Männlichkeit stehen aber mit unversehrten Köpfen auf der Mauer. Es war alles Wert. Selbst die 5 Yuan. Hier oben wird uns erst wirklich klar welche Anstrengung unternommen werden mussten um dieses Bauwerk zu errichten. Nicht nur einmal fragen wir uns, wie es überhaupt möglich war hier etwas zu bauen, wenn es doch auf beiden Seiten der Mauer schier endlos, senkrecht nach unten geht. Stundenlang wandern wir völlig alleine von Wachturm zu Wachturm, müssen dabei teilweise mehrere Meter klettern, da besonders steile Teile im Laufe der Zeit oft zusammengebrochen sind und werden schließlich doch auf beiden Seiten von unüberwindbaren Brüchen zum umkehren gezwungen. Als wir wieder zum Ausgangspunkt gelangen treffen wir auf zwei Chinesen denen unser Wegelagerer gerade versucht Wasserflaschen, zu einem absurden Preis, zu verkaufen. Nachdem er wieder verschwunden ist, wahrscheinlich hat er neue Opfer erspäht, erfahren wir von den Chinesen, dass auf diesem Teil der Mauer jedes Jahr einige Personen abstürzen die versuchen dem Verlauf der Mauer zu folgen. Wir lenken das Gespräch auf den Wegelagerer, doch sie lachen nur. „Der ist hier immer, die Polizei kommt immer wieder und verjagt ihn, doch bereits am nächsten Morgen sitzt er wieder mit Sack und Pack am Fuß der Mauer. Sie haben es wohl inzwischen akzeptiert das er es zu seinem Teil der großen Mauer erklärt hat. Was soll man machen?“ Eine gute Frage, auf die weder ich noch die Franzosen eine Antwort wissen.

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