Dienstag, 16. April 2013

Götter, Sadhus und garstige Affen

Spaziergang durch Kathmandu.

Verdammtes Kathmandu. Gerade noch ausgewichen und dem vorbei rauschendem Motorrad entkommen. Der Wohlfühl-Schalter schwenkt sofort wieder um. Gedankenverloren, schlendernd, bahne ich mir meinen Weg durch die „Rikscha“ schreiende, und „Haschisch“ murmelnde, Menge. Alles ist laut, alles ist bunt. Großartiges Kathmandu. Und dann, wie aus dem Nichts, drei aufeinanderfolgende Gedanken: Warum habe ich meine angenehme Dachterrasse gegen dieses Chaos getauscht? Werde ich den Affen je aus meinem Kopf bekommen? In welche Richtung bin ich eigentlich unterwegs?

Etwas früher. Seit 2 Tagen in der Stadt. Der erste Eindruck, überragend, obwohl, gesehen hab ich eigentlich noch nichts. Die indische Botschaft, das Hauptquartier der Immigrationspolizei und Thamel, Ballermann oder Amsterdam, wie es einem gerade passt, mitten im Himalaya. Dennoch, oder gerade deshalb, ist das allgemeine Befinden in der nepalesischen Hauptstadt im oberen grünen Bereich. Ich müsste nur von der Dachterrasse meines Gasthauses herunterkommen. Sonne und Bob Marley machen es einem nicht gerade leicht. Es ist schon wieder früher Nachmittag. Die alte Königsstadt im eigentlichen Stadtzentrum soll schön sein und ein Spaziergang durch die historischen Stadtviertel, zum Affentempel und zurück, wie geschaffen für eine kleine Fotosafari, dauert nur ein paar Stunden. Oder ewig, wer kann das schon wissen, wenn er versucht sich seinen Weg durch die chaotischen Straßen Kathmandus zu bahnen. Rotation bringt mich schließlich auf den Weg. Der Strom wird aus Rationierungsgründen, wechselnd in den Stadtbezirken abgestellt. Bob Marley verstummt und ich werde von mir selbst, mit einem leichtem Hungergefühl sowie einer Kamera mit eingestelltem Schwarz-Weiß Modus, hinaus ins Ungewisse getrieben.

Mit einer ungefähren Route im Kopf laufe ich von einer ruhigen Gasse um eine Ecke und stehe im Chaos von Thamel. Sieht von der Bauart wie eine Altstadt Fußgängerzone aus. Nur dass sich eben Rikschas, Motorräder, Kühe und Autos, hupend und muhend ihren Weg durch die Menschenmassen, Meter für Meter, erkämpfen. Komischerweise gewönnt man sich sehr schnell an wie man sich hier zu bewegen hat. Mit dem Fluss, den Horden von Händlern ausweichend und das wichtigste: Immer aufs unendliche Glück im Straßenverkehr vertrauen. Gerade dass mit dem Fluss ist nicht so einfach. Die um buddhistischen Stupas oder Hindutempel entstanden, sternförmigen, Wegkreuzkreuzungen gleichen einem Strudel in dem es schwer ist seine gewünschte Richtung beizubehalten. Der gewählte Strom treibt mich südostwärts, hinaus aus Thamel und endet schließlich am Brandungswall einer Ringstraße. Fußgängerbrücken. Überlebensversicherung aus Stein. Hier sollte sich irgendwo das Rani Pokhari befinden. Nach zwei weiteren Brücken kommt zwischen den Bäumen ein von Wasser umgebenes Tempelgebäude zum Vorschein. Eingegrenzt von einem Park, der wiederum von einer Zacken übersäten Mauer umgeben ist. Das Rani Pokhari wird nur einmal im Jahr geöffnet. Das Wasserbecken ist seit jeher ein beliebter Platz für Suizidversuche und Ausführungen. Heute muss man Schlange stehen um sich selbst zu ertränken, sofern man an jenem, einem Tag nicht gerade was anderes vorhat.

Mein Weg führt mich dagegen zum nächsten Ziel, dem Durbar Platz, alte Königsstadt und historisches Stadtzentrum. Der, mitunter durch Verkehrslärm, entstandene Trancezustand Rest-Kathmandus wird durch ein andauerndes Staunen ersetzt. Obwohl sich hier viele Menschen aufhalten strahlen die Plätze vor den Tempeln eine Ruhe aus die zum verträumt, andächtigem Schlendern verleitet oder, wie es viele Nepalesen bevorzugen, einfach irgendwo im Schatten zu dösen und die greifbare Geschichte einatmen. Und einen weiteren Bonus hat das Areal: Hier tummeln sich alle die über uns normal sterblichen verweilen. Oder unterhalb. Zumindest außerhalb jedes westlich geprägten Verständnisses. Selbst eine lebendige Göttin lebt eingesperrt in einem der Gebäude. Wie der Dalai-lama wird die „Kumari Devi“ als Kleinkind ausgesucht und verehrt bis es zum ersten erheblichen Blutverlust kommt. Anschließend wird sie, normal-sterblich, pubertierend, und völlig unvorbereitet, wieder hinaus in die harte Realität gestoßen. Eine etwas fragwürdige Tradition, da sie wohl auf einen pädophilen König zurückgeht der sich mit diesem schlauem Einfall der Moralfrage entledigt hat. Bei einer Göttin erübrigt sich jede kritische Nachfrage.

Es gibt aber auch amüsantere Beispiele da der Durbarplatz der bevorzugte Arbeitsplatz der sich selbst präsentierenden Sahdus ist. Die heiligen Männer belagern die Tempelanlagen und posieren Touristen für Photos. Eine Spende dafür versteht sich natürlich von selbst. Schon am Eingang des Platzes wartet einer grinsend auf mich. Ein Prachtexemplar. Ausgestattet mit allem was einen heilig macht. Blutunterlaufene Augen, lange Haare, Zottelbart, Kriegsbemalung, Flöte und Almosen Eimer. So ansprechend er für ein Fotoshooting wäre, er hat sich einfach einen schlechten Standpunkt herausgesucht. Ich lasse sein Angebot links liegen und verliere mich schnell in den überwältigenden Tempelanlagen und deren Verzierungen. Freundliche Götter, furchterregende Götter, Sexualpraktiken aller (un-)möglichen Art. Nach gefühlten Stunden des schlendern, fotografieren und staunen stehe ich plötzlich vor einem der Ausgänge. „Moment mal, ich hätte die Sadhus fast vergessen.“ kommt es mir gerade noch in den Sinn.

Zum Glück sind hier aber nie weit entfernt. In meinem Fall entdecke ich eine ganze Gruppe die eine Pause vom harten Modellalltag einlegt und es sich im Schatten gemütlich gemacht hat. Auch der Heilige Mann der mich bereits am Eingang begrüßt hatte ist mit dabei und sitzt auf einer kleinen Mauer. Mit den Tempelanlagen im Hintergrund ein traumhaftes Motiv. Nachdem die obligatorische Spende in seinem Eimer gelandet ist und ich auch mit den Fotos zufrieden bin, ist es an der Zeit meinen Weg fortzusetzen um noch mit der Abendsonne zum Affentempel zu gelangen.

Der Weg dorthin führt mich an so vielem vorbei von dem ich inzwischen einfach daran gewöhnt bin es zu sehen. Mitunter halbwilde Tiere, die sich um den restlichen Müll streiten welcher nicht in den Stadt eigenen Flüssen gelandet ist. Die Spitze der Verwertungskette bilden die zahlreichen Kühe, gefolgt von Straßenhunden, Ratten und ganz selten Katzen. In den Außenbezirken gesellen sich noch verwilderte Schweine hinzu. Der Weg durch die etwas vom Zentrum entfernt liegenden Vierteln ist aber auch sehr angenehm da sich hier keine Touristen mehr herum treiben und dadurch dass gesamte Erscheinungsbild der Stadt ein anderes ist. Kathmandu lebt. Kleine Läden und Werkstädten für alltägliches. Autos und Motorräder werden aus Platzmangel auf der Straße repariert. Da keine Ramschläden vorhanden sind versucht auch niemand einen in seinen Laden, oder den eines Freundes, Onkels, Bruders oder flüchtigen Bekannten, zu bugsieren.

Nach einiger Zeit erblicke ich hoch oben auf einem Hügel die buddhistische Stupa des Affentempels. Dort hinauf führt eine lange, gerade, unvorhersehbare Treppe. Unvorhersehbar weil der gesamte Hügel von einem Affenvolk bewohnt wird und die Treppe mit den meist unvorbereiteten Touristen ein gutes Jagdgebiet darstellt. Gleich nachdem ich beginne die Stufen zu erklimmen, beobachte ich eine Gruppe Chinesen die den größten Fehler begangen haben den man hier wohl machen kann. Sie haben ein Eis in der Hand, welches sie sich bei den hinterlistigen Verkäufern am Eingang kauften. Das Resultat sind kreischende Chinesinnen und kreischende, angriffslustige Affen. Affen gewinnen immer. Während die Chinesen geschockt davonlaufen, macht sich die nun wieder friedliche Affenbande bereits über das erbeutete Eis her. Unbehelligt und mit unzähligen Affenfotos auf der Speicherkarte komme ich an der Spitze des Hügels an. Neben der schon zuvor erblickten großen Stupa erwartet mich aber, wie eigentlich immer in Nepal, eine komplette Anlage deren Zentrum die Stupa bildet. So verleiten diese Plätze immer dazu zu verweilen und völlig das Zeitgefühl zu verlieren. Irgendwann kommt es mir dann doch dass ich mich wieder auf den Rückweg machen wollte bevor die Dunkelheit anbricht. 

Noch einmal die von Affen belagerte Treppe mit ihren endlos scheinenden Stufen. Noch einmal unzählige Bilder von Affen die mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen haben. Vor allem die jungen, spielenden Affen sind grandios zu fotografieren. Ich entdecke ein kleines Affenbaby das wohl gerade seine ersten Kletterversuche an einer Liane versucht. Im Sucher der Kamera versunken, bemerke ich neben mir plötzlich ein tiefes Schnauben. Viel zu nah. Nur knapp einen Meter von mir entfernt sitzt ein alter, ziemlich großer, Affe dessen Anblick mich kurz hypnotisiert. Scheinbar einseitig blind besitzt er ein normales braunes und ein weiß-blaues, milchig schummriges Auge. Zusammen mit seinem doch höherem Alter gibt es ihm ein grimmiges, fast gruseliges Erscheinungsbild. Beim kontrollieren seines Porträts merke ich dass die Kamera immer noch auf Schwarz-Weiß eingestellt ist. Zumindest jetzt fällt es mir auf, ein Photo des Affen ohne Farbe wäre ziemlich sinnlos. Auf dem Rückweg kommt er mir noch oft in den Sinn und als ich schon wieder in Trance durch Thamel schlendere fällt mir nach kurzer Ratlosigkeit auf, dass ich das Hotel ja auch verlassen hatte um meinen zwischenzeitlich vergessenen, aber inzwischen riesigen Hunger zu stillen. Verdammt, ich bin schon wieder im Thamel, im Touristenbezirk wo alles doppelt so teuer ist wie außerhalb. Noch einmal hinaus? Abgelehnt, zu ungewiss ob ich jemals zurückkommen würde.























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