Spaziergang durch
Kathmandu.
Verdammtes
Kathmandu. Gerade noch ausgewichen und dem vorbei rauschendem
Motorrad entkommen. Der Wohlfühl-Schalter schwenkt sofort wieder um.
Gedankenverloren, schlendernd, bahne ich mir meinen Weg durch die
„Rikscha“ schreiende, und „Haschisch“ murmelnde, Menge. Alles
ist laut, alles ist bunt. Großartiges Kathmandu. Und dann, wie aus
dem Nichts, drei aufeinanderfolgende Gedanken: Warum habe ich meine
angenehme Dachterrasse gegen dieses Chaos getauscht? Werde ich den
Affen je aus meinem Kopf bekommen? In welche Richtung bin ich
eigentlich unterwegs?
Etwas früher. Seit 2 Tagen in der Stadt. Der erste Eindruck, überragend, obwohl, gesehen hab ich eigentlich noch nichts. Die indische Botschaft, das Hauptquartier der Immigrationspolizei und Thamel, Ballermann oder Amsterdam, wie es einem gerade passt, mitten im Himalaya. Dennoch, oder gerade deshalb, ist das allgemeine Befinden in der nepalesischen Hauptstadt im oberen grünen Bereich. Ich müsste nur von der Dachterrasse meines Gasthauses herunterkommen. Sonne und Bob Marley machen es einem nicht gerade leicht. Es ist schon wieder früher Nachmittag. Die alte Königsstadt im eigentlichen Stadtzentrum soll schön sein und ein Spaziergang durch die historischen Stadtviertel, zum Affentempel und zurück, wie geschaffen für eine kleine Fotosafari, dauert nur ein paar Stunden. Oder ewig, wer kann das schon wissen, wenn er versucht sich seinen Weg durch die chaotischen Straßen Kathmandus zu bahnen. Rotation bringt mich schließlich auf den Weg. Der Strom wird aus Rationierungsgründen, wechselnd in den Stadtbezirken abgestellt. Bob Marley verstummt und ich werde von mir selbst, mit einem leichtem Hungergefühl sowie einer Kamera mit eingestelltem Schwarz-Weiß Modus, hinaus ins Ungewisse getrieben.
Mit einer
ungefähren Route im Kopf laufe ich von einer ruhigen Gasse um eine
Ecke und stehe im Chaos von Thamel. Sieht von der Bauart wie eine
Altstadt Fußgängerzone aus. Nur dass sich eben Rikschas,
Motorräder, Kühe und Autos, hupend und muhend ihren Weg durch die
Menschenmassen, Meter für Meter, erkämpfen. Komischerweise gewönnt
man sich sehr schnell an wie man sich hier zu bewegen hat. Mit dem
Fluss, den Horden von Händlern ausweichend und das wichtigste: Immer
aufs unendliche Glück im Straßenverkehr vertrauen. Gerade dass mit
dem Fluss ist nicht so einfach. Die um buddhistischen Stupas oder
Hindutempel entstanden, sternförmigen, Wegkreuzkreuzungen gleichen
einem Strudel in dem es schwer ist seine gewünschte Richtung
beizubehalten. Der gewählte Strom treibt mich südostwärts, hinaus
aus Thamel und endet schließlich am Brandungswall einer Ringstraße.
Fußgängerbrücken. Überlebensversicherung aus Stein. Hier sollte
sich irgendwo das Rani Pokhari befinden. Nach zwei weiteren Brücken
kommt zwischen den Bäumen ein von Wasser umgebenes Tempelgebäude
zum Vorschein. Eingegrenzt von einem Park, der wiederum von einer
Zacken übersäten Mauer umgeben ist. Das Rani Pokhari wird nur
einmal im Jahr geöffnet. Das Wasserbecken ist seit jeher ein
beliebter Platz für Suizidversuche und Ausführungen. Heute muss man
Schlange stehen um sich selbst zu ertränken, sofern man an jenem,
einem Tag nicht gerade was anderes vorhat.
Mein Weg führt
mich dagegen zum nächsten Ziel, dem Durbar Platz, alte Königsstadt
und historisches Stadtzentrum. Der, mitunter durch Verkehrslärm,
entstandene Trancezustand Rest-Kathmandus wird durch ein andauerndes
Staunen ersetzt. Obwohl sich hier viele Menschen aufhalten strahlen
die Plätze vor den Tempeln eine Ruhe aus die zum verträumt,
andächtigem Schlendern verleitet oder, wie es viele Nepalesen
bevorzugen, einfach irgendwo im Schatten zu dösen und die greifbare
Geschichte einatmen. Und einen weiteren Bonus hat das Areal: Hier
tummeln sich alle die über uns normal sterblichen verweilen. Oder
unterhalb. Zumindest außerhalb jedes westlich geprägten
Verständnisses. Selbst eine lebendige Göttin lebt eingesperrt in
einem der Gebäude. Wie der Dalai-lama wird die „Kumari Devi“ als
Kleinkind ausgesucht und verehrt bis es zum ersten erheblichen
Blutverlust kommt. Anschließend wird sie, normal-sterblich,
pubertierend, und völlig unvorbereitet, wieder hinaus in die harte
Realität gestoßen. Eine etwas fragwürdige Tradition, da sie wohl
auf einen pädophilen König zurückgeht der sich mit diesem schlauem
Einfall der Moralfrage entledigt hat. Bei einer Göttin erübrigt
sich jede kritische Nachfrage.
Es gibt aber auch amüsantere
Beispiele da der Durbarplatz der bevorzugte Arbeitsplatz der sich
selbst präsentierenden Sahdus ist. Die heiligen Männer belagern die
Tempelanlagen und posieren Touristen für Photos. Eine Spende dafür
versteht sich natürlich von selbst. Schon am Eingang des Platzes
wartet einer grinsend auf mich. Ein Prachtexemplar. Ausgestattet mit
allem was einen heilig macht. Blutunterlaufene Augen, lange Haare,
Zottelbart, Kriegsbemalung, Flöte und Almosen Eimer. So ansprechend
er für ein Fotoshooting wäre, er hat sich einfach einen schlechten
Standpunkt herausgesucht. Ich lasse sein Angebot links liegen und
verliere mich schnell in den überwältigenden Tempelanlagen und
deren Verzierungen. Freundliche Götter, furchterregende Götter,
Sexualpraktiken aller (un-)möglichen Art. Nach gefühlten Stunden
des schlendern, fotografieren und staunen stehe ich plötzlich vor
einem der Ausgänge. „Moment mal, ich hätte die Sadhus fast
vergessen.“ kommt es mir gerade noch in den Sinn.
Zum Glück sind
hier aber nie weit entfernt. In meinem Fall entdecke ich eine ganze
Gruppe die eine Pause vom harten Modellalltag einlegt und es sich im
Schatten gemütlich gemacht hat. Auch der Heilige Mann der mich
bereits am Eingang begrüßt hatte ist mit dabei und sitzt auf einer
kleinen Mauer. Mit den Tempelanlagen im Hintergrund ein traumhaftes
Motiv. Nachdem die obligatorische Spende in seinem Eimer gelandet ist
und ich auch mit den Fotos zufrieden bin, ist es an der Zeit meinen
Weg fortzusetzen um noch mit der Abendsonne zum Affentempel zu
gelangen.
Der Weg dorthin
führt mich an so vielem vorbei von dem ich inzwischen einfach daran
gewöhnt bin es zu sehen. Mitunter halbwilde Tiere, die sich um den
restlichen Müll streiten welcher nicht in den Stadt eigenen Flüssen
gelandet ist. Die Spitze der Verwertungskette bilden die zahlreichen
Kühe, gefolgt von Straßenhunden, Ratten und ganz selten Katzen. In
den Außenbezirken gesellen sich noch verwilderte Schweine hinzu. Der
Weg durch die etwas vom Zentrum entfernt liegenden Vierteln ist aber
auch sehr angenehm da sich hier keine Touristen mehr herum treiben
und dadurch dass gesamte Erscheinungsbild der Stadt ein anderes ist.
Kathmandu lebt. Kleine Läden und Werkstädten für alltägliches.
Autos und Motorräder werden aus Platzmangel auf der Straße
repariert. Da keine Ramschläden vorhanden sind versucht auch niemand
einen in seinen Laden, oder den eines Freundes, Onkels, Bruders oder
flüchtigen Bekannten, zu bugsieren.
Nach einiger Zeit
erblicke ich hoch oben auf einem Hügel die buddhistische Stupa des
Affentempels. Dort hinauf führt eine lange, gerade, unvorhersehbare
Treppe. Unvorhersehbar weil der gesamte Hügel von einem Affenvolk
bewohnt wird und die Treppe mit den meist unvorbereiteten Touristen
ein gutes Jagdgebiet darstellt. Gleich nachdem ich beginne die Stufen
zu erklimmen, beobachte ich eine Gruppe Chinesen die den größten
Fehler begangen haben den man hier wohl machen kann. Sie haben ein
Eis in der Hand, welches sie sich bei den hinterlistigen Verkäufern
am Eingang kauften. Das Resultat sind kreischende Chinesinnen und
kreischende, angriffslustige Affen. Affen gewinnen immer. Während
die Chinesen geschockt davonlaufen, macht sich die nun wieder
friedliche Affenbande bereits über das erbeutete Eis her.
Unbehelligt und mit unzähligen Affenfotos auf der Speicherkarte
komme ich an der Spitze des Hügels an. Neben der schon zuvor
erblickten großen Stupa erwartet mich aber, wie eigentlich immer in
Nepal, eine komplette Anlage deren Zentrum die Stupa bildet. So
verleiten diese Plätze immer dazu zu verweilen und völlig das
Zeitgefühl zu verlieren. Irgendwann kommt es mir dann doch dass ich
mich wieder auf den Rückweg machen wollte bevor die Dunkelheit
anbricht.
Noch einmal die von Affen belagerte Treppe mit ihren endlos
scheinenden Stufen. Noch einmal unzählige Bilder von Affen die mit
ihren eigenen Problemen zu kämpfen haben. Vor allem die jungen,
spielenden Affen sind grandios zu fotografieren. Ich entdecke ein
kleines Affenbaby das wohl gerade seine ersten Kletterversuche an
einer Liane versucht. Im Sucher der Kamera versunken, bemerke ich
neben mir plötzlich ein tiefes Schnauben. Viel zu nah. Nur knapp
einen Meter von mir entfernt sitzt ein alter, ziemlich großer, Affe
dessen Anblick mich kurz hypnotisiert. Scheinbar einseitig blind
besitzt er ein normales braunes und ein weiß-blaues, milchig
schummriges Auge. Zusammen mit seinem doch höherem Alter gibt es ihm
ein grimmiges, fast gruseliges Erscheinungsbild. Beim kontrollieren
seines Porträts merke ich dass die Kamera immer noch auf
Schwarz-Weiß eingestellt ist. Zumindest jetzt fällt es mir auf, ein
Photo des Affen ohne Farbe wäre ziemlich sinnlos. Auf dem Rückweg
kommt er mir noch oft in den Sinn und als ich schon wieder in Trance
durch Thamel schlendere fällt mir nach kurzer Ratlosigkeit auf, dass
ich das Hotel ja auch verlassen hatte um meinen zwischenzeitlich
vergessenen, aber inzwischen riesigen Hunger zu stillen. Verdammt,
ich bin schon wieder im Thamel, im Touristenbezirk wo alles doppelt
so teuer ist wie außerhalb. Noch einmal hinaus? Abgelehnt, zu
ungewiss ob ich jemals zurückkommen würde.
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