Paradise Park.
Eintritt 15 Euro.
1933 schrieb der
englische Schriftsteller James Hilton einen Roman, mit dem Titel
„Lost Horizon – Der verlorene Horizont“. Die fiktive Handlung
dreht sich darin um einen zusammengewürfelten Haufen aus Engländern
und Amerikanern, die während eines Aufstandes aus dem von den
Engländern besetzten Indien fliehen müssen. Ihr dabei verwendetes
Flugzeug gerät in Turbulenzen und muss notlanden. Irgendwo im
Himalaya. Auf wundersame Weise gelangen die Überlebenden in ein
verborgenes, paradiesisches Tal, welches utopisch gut von einem
Lamakloster regiert wird. Die darin lebenden Mönche, zumeist
Europäer, erwarten die Apokalypse und horten nebenbei das gesamte
Wissen der Welt. Als Zusatzbonus altern sie in diesem Tal nur sehr
langsam und haben daher genügend Zeit ihre, aus dem Westen
mitgebrachten, Annehmlichkeiten beim Studium der ewigen Weisheit zu
genießen.
Warum eine
Inhaltsbeschreibung eines Romans? Nun, die Chinesen haben Shangrila
gefunden. Praktischerweise liegt es nicht wie im Originalroman in
Tibet, sondern in der chinesischen Nachbarprovinz Yunnan und ist
somit auch für Nicht-Chinesen relativ einfach zu erreichen. Wenn das
die Nazis gewusst hätten. Schickten sie doch insgesamt sieben
Expeditionen nach Tibet um diesen Ort zu finden. Und alle ohne
Erfolg. Alles nur weil der Autor sich im Ort irrte und statt Yunnan,
Tibet schrieb. Eventuell wollte er aber auch nur die Nazis verwirren
und die genaue Lage des Ortes, den er kurz zuvor erfunden hatte,
geheim halten. Dass der Ort bis vor etwa zehn Jahren noch Zhongdian
hieß, muss die Suche zusätzlich erschwert haben. Nun da ihn die
Chinesen aber dennoch gefunden haben, wäre es geradezu fahrlässig
sich nicht das Paradies anzusehen wenn man schon mal in der Nähe ist
und ein paar Tage in einer magischen Zeitkapsel können sicherlich
auch nicht schaden. Man kann ja nie wissen wo man die gewonnen Tage
noch brauchen kann. Der triftigste Grund ist allerdings, dass mir
ein Holländer in Zentralasien eine Karte von China gezeichnet hatte
und darauf Orte vermerke die ich besuchen könne, falls es mir
verwehrt werden würde nach Tibet einzureisen, ich aber dennoch etwas
von der tibetischen Kultur sehen will. Shangrila ist darin auch
eingezeichnet. Ich hatte zur Entstehungszeit dieser Karte weder das
Buch gelesen, noch mich groß über China informiert. Nachdem aber
klar war dass ich Tibet selbst vorerst nicht sehen würde, erinnerte
ich mich wieder an die Geschichte des Holländers. Und an seine
Karte.
Schon die Anfahrt
ist vielversprechend. Immer tiefer geht es hinein in die östlichen
Ausläufer des Himalaya. Während der Minibus sich über die ersten
Hügelketten hinweg quält, bieten sich traumhafte Ausblicke auf die
dahinter liegenden Berge. Irgendwann öffnet sich vor uns ein Tal und
schon kurze Zeit später bemerke ich, dass sich etwas geändert hat.
Das Erscheinungsbild ist ein völlig anders. Von Feldern und Yaks
umringte kleine Dörfer in denen die Häuser nach tibetischem Stil
gebaut sind. Also Gruppierungen, bestehend aus nach oben hin leicht
abgeschrägten, schnörkellosen, viereckigen Kästen. Verzierungen
sind, wenn überhaupt, nur an Fenster- und Türrahmen zu erkennen.
Diese Siedlungen bestimmen einige Zeit die Landschaft, bis plötzlich
eine Stadt auftaucht. Keine große Stadt, aber eine Stadt. Im
ursprünglich paradiesischem Tal. Mit Elektronik- und Modegeschäften,
Wohnblöcken, mit Verkehrslärm, Abgasen und was alles sonst noch zu
einer Stadt gehört. Shangrila. Davon steht nichts im Buch.
Vielleicht liegt
der Grund warum die Chinesen dies als Shangrila identifizierten
irgendwo im Herzen der Altstadt. Was ich dort finde ist das selbe was
ich in China so oft finde. Die Altstadt ist eine hoch polierte
Fassade, gefüllt mit kitschigen überteuerten Restaurants und
Souvenirläden, die von unzähligen chinesischen Kurzzeiturlaubern
belagert werden. Zumindest die Lage ist schön. Kleine Gassen winden
sich um einen Hügel herum, auf dem sich ein kleiner, neu wirkender,
Tempel befindet. Mit der größten, golden glänzenden, Gebetsmühle
die ich bisher in meinem Leben gesehen habe. Auf dem Platz am Fuße
des Hügels steht ein Yak angebunden. Für ein paar Yuan kann man auf
das Tier klettern und sich davon ein Photo machen lassen. Mensch auf
dressiertem Yak vor Kitschkulisse. Eine sicher unvergessliche
Erinnerung. Zu meinem größtem Bedauern ist die Schlange aber recht
lang und daher setze ich stattdessen meine Suche nach Shangrila fort.
Das echte Shangrila. Das aus dem Buch. Das selbe das die Nazis
suchten. Hier kann es nicht sein, aber eventuell ist es das Kloster
„Songtsenling“ dass sich etwa zwanzig Kilometer entfernt, am Rücken
des Tals befindet. Das Kloster, dass vor mehr als 300 Jahren erbaut
wurde und zu dem heute alle zwanzig Minuten ein Shuttelbus
hinfährt.
Die Fahrt ist nicht lang und endet vor
einem großen, neuen Eingangsgebäude das gut zu einem Freizeitpark
passen würde. Man steht in einer Schlange, bekommt sein Ticket für
15 Euro und kurz darauf steigt man auf der anderen Seite des
Eingangsgebäudes wieder in einen Shuttelbus. Weitere zwanzig Minuten
geht es durch hügeliges Gelände bevor schließlich das
buddhistische Kloster in Sichtweite kommt. Es hat ein atemberaubendes
Setup. Ein Hügel der von alten tibetischen Wohnhäusern umringt
wird. Das Zentrum bildet eine gewaltige Klosteranlage. Der gesamte
Hügel ist das Kloster. Sicher nicht so groß wie der Potala in
Lhasa, aber dennoch beeindruckend und in der gleichen Bauweise.
Zwischen gewaltigen Mauern führt eine lange Treppe zur obersten
Plattform, auf der sich drei riesige Tempel befinden. Die Anlage wird
zudem von den umliegenden kleinen Bergen und einem, vor dem Hügel
liegenden und mit Schilf bewachsenem, See wunderschön in Szenen
gesetzt. Hier bin ich richtig, das kann als Shangrila akzeptiert
werden.
Ich nehme den langen Weg zum Kloster.
Ein Wanderweg, einmal um den kleinen See herum. Mit jedem Schritt
wird die Anlage beeindruckender. An Stellen an denen der See nicht
von Schilf bewachsen ist, spiegelt sich das gesamte Kloster glitzernd
auf der glatten Wasseroberfläche. Schließlich am Kloster angekommen
reihe ich mich in den, sich langsam die Treppe hinaufziehenden, Touristenstrom. Noch am Anfang, aber bereits innerhalb der Mauern,
bemerke ich Bauarbeiter in einer großen Grube wo früher mal ein
Gebäude gestanden haben muss, denke mir aber nichts dabei und steige
weiter hinauf. Oben auf der Plattform angekommen bin ich abermals
beeindruckt von der Größe der drei Tempel. Doch dann werde ich
stutzig. Wieso sieht hier schon alles wieder so neu aus? Wieso kommt
mir schon wieder Playmobil in den Sinn? Haben sie restauriert?
„Chinesisch“ restauriert? Sie können doch nicht.... Eine kurze
Internetrecherche am Abend lässt mich mit offenen Mund, staunend vor
dem Rechner sitzen. Aber nachdem ich mich wieder gefasst habe komme
ich zu einer Erkenntnis.
In China trifft etwas zu, das so wohl
sonst nirgends sonst auf der Welt zutrifft: Die erfunden Geschichten
sind immer noch die besten. Nachdem ich Shangrila gesehen habe, warte
ich nun auf den Tag an dem Atlantis gefunden wird. Zufälligerweise
wird es sich unweit der chinesischen Küste befinden. Sicher
traumhaft schön und glänzend poliert. Niemand wird vermuten dass es
sich jemals auf dem Meeresgrund befunden hat. Es muss schon immer
dagewesen sein, es hat nur niemand gesehen.
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