Montag, 1. April 2013

Shangrila

Paradise Park. Eintritt 15 Euro.

1933 schrieb der englische Schriftsteller James Hilton einen Roman, mit dem Titel „Lost Horizon – Der verlorene Horizont“. Die fiktive Handlung dreht sich darin um einen zusammengewürfelten Haufen aus Engländern und Amerikanern, die während eines Aufstandes aus dem von den Engländern besetzten Indien fliehen müssen. Ihr dabei verwendetes Flugzeug gerät in Turbulenzen und muss notlanden. Irgendwo im Himalaya. Auf wundersame Weise gelangen die Überlebenden in ein verborgenes, paradiesisches Tal, welches utopisch gut von einem Lamakloster regiert wird. Die darin lebenden Mönche, zumeist Europäer, erwarten die Apokalypse und horten nebenbei das gesamte Wissen der Welt. Als Zusatzbonus altern sie in diesem Tal nur sehr langsam und haben daher genügend Zeit ihre, aus dem Westen mitgebrachten, Annehmlichkeiten beim Studium der ewigen Weisheit zu genießen.


Warum eine Inhaltsbeschreibung eines Romans? Nun, die Chinesen haben Shangrila gefunden. Praktischerweise liegt es nicht wie im Originalroman in Tibet, sondern in der chinesischen Nachbarprovinz Yunnan und ist somit auch für Nicht-Chinesen relativ einfach zu erreichen. Wenn das die Nazis gewusst hätten. Schickten sie doch insgesamt sieben Expeditionen nach Tibet um diesen Ort zu finden. Und alle ohne Erfolg. Alles nur weil der Autor sich im Ort irrte und statt Yunnan, Tibet schrieb. Eventuell wollte er aber auch nur die Nazis verwirren und die genaue Lage des Ortes, den er kurz zuvor erfunden hatte, geheim halten. Dass der Ort bis vor etwa zehn Jahren noch Zhongdian hieß, muss die Suche zusätzlich erschwert haben. Nun da ihn die Chinesen aber dennoch gefunden haben, wäre es geradezu fahrlässig sich nicht das Paradies anzusehen wenn man schon mal in der Nähe ist und ein paar Tage in einer magischen Zeitkapsel können sicherlich auch nicht schaden. Man kann ja nie wissen wo man die gewonnen Tage noch brauchen kann. Der triftigste Grund ist allerdings, dass mir ein Holländer in Zentralasien eine Karte von China gezeichnet hatte und darauf Orte vermerke die ich besuchen könne, falls es mir verwehrt werden würde nach Tibet einzureisen, ich aber dennoch etwas von der tibetischen Kultur sehen will. Shangrila ist darin auch eingezeichnet. Ich hatte zur Entstehungszeit dieser Karte weder das Buch gelesen, noch mich groß über China informiert. Nachdem aber klar war dass ich Tibet selbst vorerst nicht sehen würde, erinnerte ich mich wieder an die Geschichte des Holländers. Und an seine Karte.

Schon die Anfahrt ist vielversprechend. Immer tiefer geht es hinein in die östlichen Ausläufer des Himalaya. Während der Minibus sich über die ersten Hügelketten hinweg quält, bieten sich traumhafte Ausblicke auf die dahinter liegenden Berge. Irgendwann öffnet sich vor uns ein Tal und schon kurze Zeit später bemerke ich, dass sich etwas geändert hat. Das Erscheinungsbild ist ein völlig anders. Von Feldern und Yaks umringte kleine Dörfer in denen die Häuser nach tibetischem Stil gebaut sind. Also Gruppierungen, bestehend aus nach oben hin leicht abgeschrägten, schnörkellosen, viereckigen Kästen. Verzierungen sind, wenn überhaupt, nur an Fenster- und Türrahmen zu erkennen. Diese Siedlungen bestimmen einige Zeit die Landschaft, bis plötzlich eine Stadt auftaucht. Keine große Stadt, aber eine Stadt. Im ursprünglich paradiesischem Tal. Mit Elektronik- und Modegeschäften, Wohnblöcken, mit Verkehrslärm, Abgasen und was alles sonst noch zu einer Stadt gehört. Shangrila. Davon steht nichts im Buch.

Vielleicht liegt der Grund warum die Chinesen dies als Shangrila identifizierten irgendwo im Herzen der Altstadt. Was ich dort finde ist das selbe was ich in China so oft finde. Die Altstadt ist eine hoch polierte Fassade, gefüllt mit kitschigen überteuerten Restaurants und Souvenirläden, die von unzähligen chinesischen Kurzzeiturlaubern belagert werden. Zumindest die Lage ist schön. Kleine Gassen winden sich um einen Hügel herum, auf dem sich ein kleiner, neu wirkender, Tempel befindet. Mit der größten, golden glänzenden, Gebetsmühle die ich bisher in meinem Leben gesehen habe. Auf dem Platz am Fuße des Hügels steht ein Yak angebunden. Für ein paar Yuan kann man auf das Tier klettern und sich davon ein Photo machen lassen. Mensch auf dressiertem Yak vor Kitschkulisse. Eine sicher unvergessliche Erinnerung. Zu meinem größtem Bedauern ist die Schlange aber recht lang und daher setze ich stattdessen meine Suche nach Shangrila fort. Das echte Shangrila. Das aus dem Buch. Das selbe das die Nazis suchten. Hier kann es nicht sein, aber eventuell ist es das Kloster „Songtsenling“ dass sich etwa zwanzig Kilometer entfernt, am Rücken des Tals befindet. Das Kloster, dass vor mehr als 300 Jahren erbaut wurde und zu dem heute alle zwanzig Minuten ein Shuttelbus hinfährt.

Die Fahrt ist nicht lang und endet vor einem großen, neuen Eingangsgebäude das gut zu einem Freizeitpark passen würde. Man steht in einer Schlange, bekommt sein Ticket für 15 Euro und kurz darauf steigt man auf der anderen Seite des Eingangsgebäudes wieder in einen Shuttelbus. Weitere zwanzig Minuten geht es durch hügeliges Gelände bevor schließlich das buddhistische Kloster in Sichtweite kommt. Es hat ein atemberaubendes Setup. Ein Hügel der von alten tibetischen Wohnhäusern umringt wird. Das Zentrum bildet eine gewaltige Klosteranlage. Der gesamte Hügel ist das Kloster. Sicher nicht so groß wie der Potala in Lhasa, aber dennoch beeindruckend und in der gleichen Bauweise. Zwischen gewaltigen Mauern führt eine lange Treppe zur obersten Plattform, auf der sich drei riesige Tempel befinden. Die Anlage wird zudem von den umliegenden kleinen Bergen und einem, vor dem Hügel liegenden und mit Schilf bewachsenem, See wunderschön in Szenen gesetzt. Hier bin ich richtig, das kann als Shangrila akzeptiert werden.

Ich nehme den langen Weg zum Kloster. Ein Wanderweg, einmal um den kleinen See herum. Mit jedem Schritt wird die Anlage beeindruckender. An Stellen an denen der See nicht von Schilf bewachsen ist, spiegelt sich das gesamte Kloster glitzernd auf der glatten Wasseroberfläche. Schließlich am Kloster angekommen reihe ich mich in den, sich langsam die Treppe hinaufziehenden, Touristenstrom. Noch am Anfang, aber bereits innerhalb der Mauern, bemerke ich Bauarbeiter in einer großen Grube wo früher mal ein Gebäude gestanden haben muss, denke mir aber nichts dabei und steige weiter hinauf. Oben auf der Plattform angekommen bin ich abermals beeindruckt von der Größe der drei Tempel. Doch dann werde ich stutzig. Wieso sieht hier schon alles wieder so neu aus? Wieso kommt mir schon wieder Playmobil in den Sinn? Haben sie restauriert? „Chinesisch“ restauriert? Sie können doch nicht.... Eine kurze Internetrecherche am Abend lässt mich mit offenen Mund, staunend vor dem Rechner sitzen. Aber nachdem ich mich wieder gefasst habe komme ich zu einer Erkenntnis.

In China trifft etwas zu, das so wohl sonst nirgends sonst auf der Welt zutrifft: Die erfunden Geschichten sind immer noch die besten. Nachdem ich Shangrila gesehen habe, warte ich nun auf den Tag an dem Atlantis gefunden wird. Zufälligerweise wird es sich unweit der chinesischen Küste befinden. Sicher traumhaft schön und glänzend poliert. Niemand wird vermuten dass es sich jemals auf dem Meeresgrund befunden hat. Es muss schon immer dagewesen sein, es hat nur niemand gesehen.

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