Freitag, 20. April 2012

Nino und die 50 Türme

Im großen Kaukasus.

In der Türkei lernte ich eines Tages einen Georgier kennen. Er gab mir folgenden Tipp: wenn ich das wahre Georgien sehen wolle, muss ich nach Svanetien fahren. Eine Bergregion hoch oben im großen Kaukasus. Nach der enttäuschenden Erfahrung in der Touristenhochburg Batumi erinnere ich mich daran und stehe kurz darauf, früh morgens am Busbahnhof von Zugdidi. Sozusagen das Basiscamp für einen Trip in die Berge. Gespannt erwarte ich die 5-6 Stunden Fahrt die mich nach Mestia bringen wird, die 2000 Einwohner beherbergende Hauptstadt Svanetis.

Dort sollen Menschen leben die erst vor knapp 70 Jahren das erste Auto gesehen haben, was wiederum erstaunlich ist, denn dass was man nur mit viel Nachsicht eine Straße nennen kann, wurde erst vor ca. 15 Jahren zwischen Mestia und Zugdidi gebaut. Im Großen Kaukasus ticken die Uhren noch etwas langsamer und die Bewohner sind ungewöhnlich, oder besser gesagt etwas eigensinnig. Der Grund dafür mag die abgeschiedene Lage sein. In ihrer Geschichte wurden sie niemals von fremden Mächten beherrscht, selbst zur Sovietzeit. Ich lese eine Geschichte. Vor langer Zeit hatte ein Georgischer Fürst versucht das Gebiet in seinen Besitz zu nehmen. Um den Bewohnern dies zu verkünden versammelte er die Einwohner Mestias auf deren Stadtplatz. Sie hörten ihn an. Gefallen hat es ihnen aber scheinbar nicht, denn der Fürst verließ den Platz nicht lebend. Zimperlich sind also nicht. Überhaupt spielt der Tod eine große Rolle in der Kultur dieser Region. Tiefgläubig verbringen sie ihre Gottesdienste außerhalb der Kirchen, denn diese sind den Selen der Toten vorbehalten. Als ich diese Geschichten hörte war klar, diese Menschen und deren Kultur will ich kennenlernen. Doch einfach ist das nicht.

Nur ein Minibus, auch Marschrutka genannt, fährt diese Strecke täglich. Früh morgens um sieben,  wurde mir gesagt. Es wurde mir aber auch gesagt dass sieben Uhr wohl eher eine ungefähre Zeit ist. Es könne schon mal etwas länger dauern bis es dann wirklich losgeht. Was dass auf georgisch heißt, lerne ich jetzt. Am Abend zuvor war ich in meiner Unterkunft in Zugdidi in eine Geburtstagsfeier geplatzt zu der ich wie selbstverständlich eingeladen wurde. Demnach steige ich übermüdet, vor allem aber verkatert, in den Bus. Kurz darauf schlafe ich ein. Als ich später wieder erwache steht die Marschrutka noch immer am selben Fleck. Ein Blick auf mein Handy. 11.30 Uhr. Das heißt also etwas später. Doch inzwischen sitzen mehr Menschen mit mir in dem kleinen Bus, während die noch fehlenden Passagiere draußen mit dem Fahrer diskutieren wie es möglich ist denn gesamten Inhalt eines Anhängers im Wagen zu verstauen. Es ist möglich, denn eine halbe Stunde später sitzen 15 Personen eingepfercht im Bus. Zwischen Gepäck, Gasflaschen, Mehlsäcken, Kartoffelsäcken, Kisten mit gemischtem Gemüse, allerlei Haushaltswaren und zuguterletzt: einigen Bierkästen. Nur ein paar Hühner fehlen eigentlich noch für ein stimmiges Gesamtbild. Es ist eng, doch es beruhigt mich auch. Selbst wenn der knapp 30 Jahre klapprige Transporter irgendwo in der Wildnis seinen Geist aufgibt, verhungern oder verdursten wird vorerst niemand.

Die Fahrt beginnt und wird nicht nur aufgrund der überfüllten Marschrutka ein Erlebnis. Sie führt an steilen Abhängen vorbei an den Bergseen und schneebedeckten Gipfeln der kaukasischen Berge. Die Straße ist am Ende eines harten Winters von Schlaglöchern übersät, mehrmals wird die Fahrt unterbrochen. Nach Steinschlägen liegen zu viele Felsbrocken auf der Straße als dass der Fahrer diesen ausweichen könnte. Glücklicherweise sind es aber nur kleinere Kaliber und so helfen alle zusammen dass die Fahrt alsbald weitergehen kann. Doch nicht nur Steine zwingen den Fahrer zu riskanten Ausweichmanövern. Sobald irgendwo in den Tälern kleine Siedlungen in Sichtweite sind wird die Straße von Kühen belagert. Uns so beginnt immer wieder das gleiche Spiel. Kühe kommen in Sichtweite, der Fahrer hupt wie ein Verrückter und vertraut darauf dass sie rechtzeitig die Straße räumen. Zur Not wird mit gleichem Tempo ausgewichen, langsamer gefahren wird wegen ein paar Kühen nicht. Diese Methode funktioniert bis wir das Tal von Mestia erreichen. Dort mischen sich Schweine zwischen die Kühe. Und diese sind wesentlich störrischer.

Nach knapp fünf Stunden Fahrt kommen dann endlich die Türme Mestias in Sichtweite. Schon die  kleinen Dörfer zuvor hatten einige dieser, 15 Meter hohen, Abwehrtürme. In Mestia hingegen hat auf den ersten Blick jedes Haus seinen eigenen. Das Ganze Stadtbild wird von ihnen bestimmt. Wohin man auch blickt. Turm neben Turm. Doch es ist nur der erste Blick. Zwar befinden sich in der alten Stadt knapp 50 dieser Türme, doch Mestia hat auch noch einen neueren Stadtteil mit Häusern die in der Sovietzeit errichtet wurden. Da der Kreml meist keinen großen Wert auf ein einheitliches Stadtbild gelegt hat,  und es wohl auch nicht ganz zeitgemäß war, befinden sich dort keine Türme.

Irgendwo dort sollte sich, laut einer Visitenkarte, auch ein Hostel befinden. Der Weg dorthin verschafft mir einen ersten Eindruck. Eine ungeteerte, matschige Hauptstraße. Wo kein Matsch ist, ist Schnee. Hier ist noch Winter. Hart für die unzähligen freilaufenden Kühe und Schweine in diesen Bedingungen etwas essbares zu finden. Die Gassen zwischen den Türmen am Hang sehen nett aus. Schließlich finde ich das Hostel. Zumindest die Adresse. Das Haus ist baufällig, die Fenster kaputt, selbst die Türe hängt schief in den Angeln. Im gleichen Moment hält neben mir ein Geländejeep. Die Frau darin scheint meine Skepsis über die vermeintliche Unterkunft bemerkt zu haben und bietet mir sogleich ein Zimmer in ihrer Pension an. Da der Preis gut ist, und zwei Essen täglich beinhaltet, sage ich zu und steige ein. 

Die Pensionsbesitzerin stellt sich als Nino vor und klärt mich auf das dass Hostel zwar noch da ist jedoch kein heißes Wasser besitzt, und die eben schon gesehenen kaputten Fenster. Bei den Winterlichen Temperaturen wäre eine Lungenentzündung vorprogrammiert. Bei Nino bin ich fortan gut aufgehoben. Sie spricht ein wenig Englisch und mit ihrem Mann trainiere ich mein Russisch. Aufgrund der beiden Mahlzeiten benötige ich nicht einen Euro mehr für Verpflegung. Ich setze mich an Tisch und vor mir werden Teller mit verschiedensten svanetischen Gerichten ausgebreitet. Nur aus Höflichkeit probiere ich alles und esse soviel ich kann. Am Ende ist aber meist die Hälfte übrig. Um all das Essen zu verdauen streife ich tagsüber durch die Gassen der Altstadt und werde von Bauarbeitern schon vormittags zum Bier trinken eingeladen. Ich besuche einen der Türme, welcher als Museum zugänglich ist, und erfahre mehr über die Geschichte dieser Verteidigungsanlagen.

Gebaut in der Blütezeit des Handels auf der Seidenstraßen dienten sie den Bewohnern als Zuflucht vor umherziehenden Räuberbanden. Auch die Bewohner des Flachlandes brachten, in Zeiten des Krieges, Relikte  und Reichtümer nach Svanetien, damit diese dort sicher aufbewahrt sind. Manche dieser Relikte wurden aber nicht mehr abgeholt, oder zurückgegeben, und befinden sich bis heute im Besitz lokaler Familien. Wie ich schon erwähnte sind die Menschen hier etwas eigenwillig. Bis vor kurzen war dies auch kein sicherer Platz für Touristen auch wenn die Gegend traumhaft schön zum Bergsteigen ist. Bewaffnete Räuberbanden überfielen Wandergruppen in den Bergen. Die Lage besserte sich aber als Sicherheitskräfte den ortsansässigen Gangsterboss und seinen Sohn erschossen. Svanetien entwickelt sich zu einem beliebten Reiseziel für Touristen, aber es ist immer noch ein Geheimtipp. Es gibt bisher genau zwei moderne Gebäude in Mestia. Ein Verwaltungsgebäude und eine Polizeistation. Dass auf der Straße davor Kühe auf einer matschigen Dorfstraße umherstreifen lässt die Gebäude umso deplatzierter wirken. Die Empfehlung hierher zu kommen war richtig auch wenn ich es nicht als das wahre Georgien sehe, denn dafür ist es seit jeher zu eigenständig. Dass zeigt sich auch darin dass die Svanen eine, den Georgiern unverständliche, eigene Sprache sprechen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen