Sonntag, 16. September 2012

Kimme und Korn

Jagdausbildung auf kirgisisch

Wie so oft beginnt es mit einer Zigarette. Wie so oft kreiert das gemeinsame Laster eine Begegnung mit einem Wildfremden. Ich stehe vor einer Jurte im TianShan Gebirge und inhaliere hastig den Rauch um wieder in die geheizte Unterkunft zu kommen. Ein älterer Mann in kompletten Armee-Tarnoutfit kommt, etwas wankend, auf mich zu. Er bittet um Feuer.Wortlos stehen wir nebeneinander, bis er realisiert dass ich russisch verstehe. Der Mann heißt Samat und ist Jäger, oder Polizist, oder doch Parkwächter eines Naturschutzreservates. Genau weiß ich es bis heute nicht. So gut ist mein russisch auch nicht und vielleicht auch, weil ich etwas betrunken bin, als ich Stunden später in meinen Schlafsack krieche. Immerhin habe zu diesem Zeitpunkt dann aber eine kirgisische Jäger Ausbildung erhalten.


Samat und ich stehen also bei der gemeinsamen Zigarette im nassen Gras.
„Woher kommst du?“ fragt er interessiert.
„aus Deutschland“ sage ich, mit der Vorahnung dass sich ein nun typischer Smalltalk mit einem Deutschen entwickelt. Die Gesprächsthemen sind dabei stets auf drei Felder begrenzt. Autos, Bier und Hitler. Doch dieses Gespräch läuft überraschenderweise anders.
„Ohh Deutschland, ich liebe Deutschland.“ erwidert Samat und ein breites Grinsen ist in seinem Gesicht auszumachen. Kurz erklärt er dass er vor etlichen Jahren seinen Militärdienst dort absolvierte und die Menschen dort immer sehr nett zu ihm waren. Na sieh mal einer an!
„Wodka?“ Fragt Samat und schnippt sich dabei mit einem Finger an die Kehle, das universelle Zeichen dass er sich mit mir betrinken will. Obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt nicht ganz nüchtern erscheint. Ich habe nichts dagegen. Kurze Zeit später sitzen wir in Samats kleinem Armeezelt und nachdem er seinen ca. 10 Jährigen Sohn hinaus in die Kälte vertrieben hat, zaubert er eine, nicht mehr ganz volle, Flasche Wodka hervor. Nach der ersten Runde präsentiert er zudem noch ein Glas Essiggurken und eine Flasche Kumis. Wenn es nicht Wodka wäre, wäre Kumis wohl das Nationalgetränk der Kirgisier. Vergorene Pferdemilch mit einem leichten Alkoholgehalt. Ein etwas gewöhnungsbedürftiger Geschmack, der aber schon kurz darauf wieder von der nächsten Wodkarunde vertrieben wird.
„Morgen, Jagen?“ Fragt Samat und macht dazu die eindeutige Geste eines Gewehrs im Anschlag.
„Jagen? Was jagen und wo?“ erwidere ich verwundert da wir uns in einem Naturschutzgebiet befinden
„Sousslik, hier in den Bergen. Es ist ein Naturschutzgebiet aber wenn ich sage dass es in Ordnung ist, ist es in Ordnung. Ich bin ein hohes Tier hier in der Gegend.“ Erklärt er voller Stolz.
„Sousslik“ wiederhole ich. 
Sousslik ist das russische Wort für die hier ansässigen orangefarbenen, pelzigen und ziemlich groß geratenen Murmeltiere.
„Ja morgen. Sousslik, Pamm Pamm.“ Er wiederholt dabei seine vorherige Geste.
„Sousslik sind gut, sind gesund.“ Samat reibt sich seinen Bauch.
Mit dem Wissen dass ich zusammen mit Polly und ihrer Cousine, die sich etwas entfernt im Zelt befinden, auf einer Wandertour bin und wir am nächsten Tag ein hartes Programm vor uns haben, lehne ich dankend ab. Zudem habe ich keine große Lust Jagd auf die pelzigen und sehr lustig zu beobachtenden Murmeltiere zu machen.
„Du kannst auch daneben schießen wenn du willst“ Samat erkennt wohl mein Unbehagen.
Er versucht noch eine Weile mich zu überreden gibt aber schließlich auf. Inzwischen haben wir die Flache Wodka bis auf den letzten Tropfen leergetrunken. Nun präsentiert Samat sein Arbeitsgerät, ein altes russisches Jagdgewehr.
„Komm lass uns etwas schießen“ fordert er mich auf und schreitet zielstrebig mit Flinte, mir und seinem hinzukommenden Sohn im Schlepptau hinaus auf ein Feld. Auf einem Baumstumpf werden einige Plastikflaschen angebracht. Samat misst mit Schritten die Entfernung ab. 40 Meter. Ich kann die Flaschen kaum erkennen. Er lädt dass Gewehr und drückt es mir in die Hand. Anschließend erklärt er mir die Entfernungseinstellung, die beste Gewehrhaltung und die Atmung beim Zielen. Durch Kimme und Korn versuche ich die Flache zu erahnen und drücke ab. Daneben. Etwas weiter hinten im Feld sehe ich wie die Kugel einschlägt und Staub aufwirbelt. Der Schuss hallt laut im Talkessel nach. Abwechselnd und unter dem Lärm der Schüsse versuchen Samat, sein Sohn und ich abwechselnd die Flaschen zu treffen. Niemanden gelingt es. Samat, der immer aus der Hocke schießt, verliert dabei mehrmals seine Balance und muss den Versuch abbrechen. Schließlich entscheidet er dass die Entfernung wohl doch etwas weit ist und verkürzt auf 30 Meter. Der Vorgang wiederholt sich, ohne dass jemand von uns die Flaschen trifft.
„Schlecht, Schlecht, wir sind so schlecht.“ mosert Samat.
„Und betrunken“ füge ich in Gedanken hinzu.
„Wartet hier“ sagt Samat und geht in Richtung seines Zeltes.
Während wir warten versuche ich mich etwas mit seinem Sohn zu verständigen was aber aufgrund der Sprachbarrieren nur mit Zeichensprache möglich ist.

Als Samat nach 15 Minuten zurückkommt hat er die leere Flasche und eine, bereits geöffnete, neue Flasche Wodka dabei. Zudem angesägte Spezialmunition die er stolz präsentiert und erklärt. Er schreitet zum Baumstamm und postiert die leere Flasche Wodkaflasche zu den anderen. Wieder zurück wird eine weitere Runde getrunken. Doch es ändert nichts. Von 30 Metern Entfernung hilft kein Zielwasser und keine Spezialmunition. Aufgrund der Kälte verliere ich auch langsam die Lust. Der Abstand wird auf 20 Meter verkürzt. Zum ersten mal kann ich die Flaschen auch deutlich erkennen. Ich ziele und drücke ab. Und lautem Klirrgeräusch zerspringt der Hals der Wodkaflasche.

„Ohhh Stefan, sehr gut“ entfährt es Samat der mich anschließend überschwänglich umarmt. Auch Samat trifft den Rest der Flasche. Endlich scheint auch er zufrieden.Wieder trinken wir eine weitere Runde auf den Erfolg und beenden dass Zielschießen.
„Morgen Sousslik jagen?“ versucht er erneut mich zu überreden.
Auch wenn es sicher interessant wäre mit Samat und Flinte durchs Gebirge zu ziehen und die Murmeltiere aufgrund unserer, doch begrenzten, Zielfähigkeiten wohl nichts zu befürchten hätten, lehne ich erneut ab. Als ich später wieder zu meinem Zelt zurückkomme höre ich Vorwürfe. Die Leute in den Zelten waren wohl etwas verängstigt vom andauernden herumgeballere im Tal. Auch wenn wir in die entgegen gesetzte Richtung geschossen haben, aufgrund der Situation dass wir wohl nicht zu sehen waren und ziemlichen Lärm verursacht haben kann ich die Vorwürfe in diesem Moment nachvollziehen. Ich hätte in diesem Fall wohl auch kein gutes Gefühl gehabt, hätte ich nicht selbst die Flinte in den Händen gehabt.







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen