Der See Aidarkul
Ausgesetzt. An
einem See mit dem klangvollen Namen Aidarkul. Namen sind eine Sache.
Eine andere Sache ist, dass dieser See mitten in der Wüste liegt. Es
ist Mittagszeit und brütend heiß. Im Umkreis von mehreren Kilometer
keine Mensch, kein Haus und kein einziger, Schatten spendender, Baum.
Aber das war genau dass was Polly und ich wollten. Raus aus den
Städten. Nicht nur durch verschmierte Fensterscheiben von Zügen und
Autos etwas von der Natur Usbekistans sehen. Ob das ganze Vorhaben
gut durchdacht war, steht wiederum auf einem ganz anderem Blatt
Papier.
Zwei Tage zuvor
sitzen wir in einer jener Städte denen wir zu entkommen versuchen
und studieren die Karte nach Möglichkeiten das Land weiter zu
erkunden.
„Sieh, da im
Norden ist ein ziemlich großer See“ sagt Polly mit, aus
Abenteuerlust, glänzenden Augen.
„Sieht nett
aus, aber ganz schön abgelegen“ sage ich, obwohl mir eigentlich
schon klar ist wohin die Reise geht.
„Kein Problem,
hinkommen per Anhalter, und dann dort am Ufer campen“ erwidert
Polly, die sofort erkannt hat dass meine Einsprüche wohl eher
minimal ausfallen.
„Wir haben kein
Zelt“ ist der letzte Gedanke eines Zweifels den ich äußere.
Gleichzeitig jedoch mit einem breiten Grinsen, wohl wissend dass ich
mich nun für etwas rühmen kann für das mich Polly schon mehrmals
aufgezogen hat. Die unzähligen, meines Erachtens nützlichen, aber
dennoch selten benutzten, Dinge meines Rucksackes. Paradebeispiel:
Ein Moskitonetz, welches sich in diesem Fall, falls nötig, auch als
Zeltersatz verwenden lässt.
Und dann sind wir
auch schon unterwegs. Zwischenstopp machen wir in der Pilgerstadt
Naruta, von der wir am nächsten Morgen versuchen eine
Mitfahrgelegenheit in Richtung Aidarkul zu ergattern. Dieser befindet
sich abseits jeglicher Touristenrouten, öffentlicher Transport ist
somit unmöglich. Wir finden schließlich einen blauen
Kleintransporter der ein paar Einwohner eines Dorfes, in der Nähe
des Sees, mit ihren Monatseinkäufen in dieses zurückbringt. Diese
sind nachdem sie von unseren Plan erfahren haben zwar sichtlich
verwundert, aber auch amüsiert, und beschließen den Umweg in Kauf
zu nehmen um uns direkt am See abzusetzen.
Nach drei
Stunden, ohne jegliche Kurve, auf einer holprigen Teerstraße durch
Steppe und Wüste, und weiteren 20 Minuten auf einer Staubpiste hält
der Transporter dann am Ufer Aidarkuls. „Bitteschön,
hier ist euer See", sagt der Fahrer mit breitem Grinsen als er uns
unsere Rucksäcke in die Hand drückt. Uns kommen in diesem Moment
die ersten Zweifel ob diese Exkursion wirklich eine gute Idee war.
Der See liegt mitten im nirgendwo und wirkt nicht besonders
einladend. Das Wasser am Ufer ist abgestanden, zudem übersät mit
Algen und riecht dementsprechend. Der Fahrer gibt
uns aber noch den Hinweis dass der See besser wird wenn wir etwas
entlang des Ufers gehen. Wir wandern also ein paar Kilometer und
finden während unseres Weges so ziemlich alles was den schlechten
Eindruck noch unterstreichen kann. Mehrere Knochenschädel von
Pferden. Sträucher die komplett von Spinnennetzen eingehüllt sind.
Einige ausgehöhlte Panzer von kleinen Schildkröten. Spuren und
abgestreifte Häute von, nicht gerade kleinen, Schlangen. Pfützen
mit abgestandenem Wasser welches von unzähligen Moskitos belagert
wird. Und immer wieder mehrere leere Wodka Flaschen. Es ist wohl
wirklich besser sich etwas weiter vom Anfang des Sees zu entfernen.
Unsere Lust den Abend fern jeglicher Zivilisation mit mofafahrenden,
sturzbetrunkenen Usbeken zu verbringen hält sich in Grenzen.
Als der See
breiter wird ändert sich zwar nicht das lebensfeindliche Ufer, aber
der See selbst wird einladender. Neben zwei Fischerbooten beschließen
wir unser Lager aufzuschlagen. Mithilfe eines Bootes, und dessen
Paddel, errichten wir eine Schatten spendende Konstruktion und
verbringen dort und im Wasser die heißesten Stunden des Tages. Den
dadurch entstehenden Sonnenbrand werden wir noch lange verfluchen.
Als es Abend wird, und wir unsere Schattenkonstruktion mithilfe des
Moskitonetzes in einen vor Moskitos und anderem Getier geschützten
Schlafplatz umwandeln wollen, vernehmen wir Motorengeräusche. Ein
einzelnes Mofa kommt angefahren. Der Besitzer des
Mofas ist sichtlich erstaunt als er die zwei campende Touristen neben
seinem Boot bemerkt. Er nutzt die kühleren Abendstunden um seine
vorher verrichteten Reparaturarbeiten am Bug zu überprüfen.
Glücklicherweise ist es nicht das Boot welches wir als tragenden
Bestandteil unserer Unterkunft verwenden.
Er klopft das,
auf dem Rücken liegenden, Boot mit einem Stock ab. Auf Nachfrage
erfahren wir den Grund: Er vermutet das sich darunter Schlangen
befinden. Soweit hatten wir nicht gedacht. Diese normalerweise für
Menschen nicht tödlichen, aber mit äußerst schmerzhaften Gift
ausgestatteten, Schlangen sind am Aidarkul, aufgrund ihrer großen
Anzahl, eine regelrechte Plage. Als er das Boot
dann schließlich umdreht befinden sich darunter tatsächlich zwei
Schlangen. Beide etwa einen halben Meter lang. Sichtlich unerfreut
über die Störung ihrer Ruhe richten sie ihre Köpfe auf und denken
gar nicht daran das weite zu suchen. Mithilfe eines langen Stockes
wirft der Fischer die beiden giftigen Schlangen ein paar Meter durch
die Luft. Eine wird darauf etwas wütend und greift den Fischer
direkt an. Dieser greift unbeeindruckt zum Paddel und will sich des
Problems damit entledigen. Es dauert mehrere Schläge. Währenddessen
beobachte ich die zweite Schlange die nach ihrem kurzem Flug die
bessere Variante wählt und schnurstracks den Weg zum nächstbesten,
vorerst sicheren, Platz findet. Das zweite Boot. Unser
Boot. Nur etwa einen halben Meter vom angedachten Schlafplatz
entfernt.
Kurz darauf hat
der Fischer sein Boot im Wasser getestet. Er verabschiedet sich und
braust auf seinem Mofa davon. Zurück bleiben wir, kurz vor Anbruch
der Nacht und dem Problem dass sich eine gereizte Schlange irgendwo,
nur eine Armlänge von unseren Schlafsäcken entfernt befindet.
Inzwischen möglicherweise auch direkt darunter. Es bedarf einer
schnellen Lösung. Vorsichtig, und
Stück für Stück, bauen wir unsere Konstruktion wieder ab und legen
jedes Teil einzeln, einige Meter entfernt ab. Schließlich heben wir
das Boot an. Dabei entdecken wir die Schlange welche sich in einer
kleinen Mulde versteckt hielt und sich nun aufgerichtet auf mich zu
bewegt. Wie der Fischer greife ich zu einem Stock und schicke die
Schlange auf einen Kurzstreckenflug. Doch wie zuvor kommt sie wieder
angekrochen und versucht sich wieder unter dem Boot zu verstecken.
Dieser Vorgang wiederholt sich einige Male. Ich blicke zu Polly und
uns beiden ist klar dass das Problem so nicht zu lösen ist. Hier
neben der Schlange zu schlafen ist keine Option. Mit einem Zelt wäre
die Sache wesentlich einfacher, unsere Moskitonetz-Konstruktion zum
Boden hin abzudichten ist jedoch ein Ding der Unmöglichkeit. Den
Schlafplatz zu verlegen ist aufgrund der anbrechenden Nacht auch
keine Option, wer weiß wie viele Schlangen sich dort befinden
würden. Schließlich, und schweren Herzens, beschließen wir uns am
Beispiel des Fischers zu richten. Ich greife zum Paddel. Es soll kurz
und schmerzlos vonstatten gehen. Langsam und vorsichtig bewege ich
mich auf die, sich in Lauerstellung befindliche, Schlange zu. Es wird
kurz und schmerzlos, der erste Stoß trifft direkt den Kopf der
Schlange.
Von der
Schlangengefahr erlöst errichten wir wieder unsere Unterkunft. Kurz
darauf ist es stockdunkel. Mit der Nacht kommen Millionen von
Moskitos zum Ufer. Zu Beginn werden sie noch von ebenso unzähligen
Libellen gejagt. Die Kombination von surrenden Moskitos und Libellen,
die immer wieder aneinander stoßen, erzeugen ohrenbetäubenden Lärm.
Schließlich sind die Libellen satt und lassen uns mit den Moskitos
zurück. Doch Moskitonetz und Insektenspray bewähren sich in dieser
Nacht. Nur vereinzelt finden einige Moskitos und ein paar Spinnen den
Weg durch die Maschen. Anderenfalls wäre Schlaf hier absolut
unmöglich. Dennoch erwachen wir mehrmals und müssen unser
Behelfszelt ausbessern. Aufgrund unseres Kampfes gegen die
Insektenplage fällt es uns schwer, uns am absolut klarem und
rückblickend gesehen traumhaften, Sternenhimmel der Wüste zu
erfreuen. Am nächsten
Morgen erwachen wir gerädert und sind dennoch einfach froh die Nacht
überstanden zu haben. Über die Entscheidung, einen zweiten Tag (und
vor allem eine zweite Nacht) hier zu verbringen, wird nicht
gesprochen. Kurz nach dem Sonnenaufgang befinden wir uns bereits
wieder auf dem Weg entlang des Ufers der uns nach einigen Kilometern
wieder zur rettenden Straße führt.
Das Nichts per
Anhalter zu verlassen erweist sich als schwierig, da im Nichts nun
mal wenige Autos verkehren. Wieder einmal danke ich der, manchmal
absurden, Organisationsorgie der Sowjets. Mitten im Nichts eine
schattenspendende, rettende, gemauerte Bushaltestelle. Das nächste
Dorf ist in Sichtweite und dennoch einige Kilometer entfernt. Schwer
vorzustellen wie hier vor mehr als 20 Jahren noch menschenleere Busse
durch die Wüste tingelten. Nach einiger Zeit bemerken wir einen
blauen Kleintransporter am Horizont . Er kommt uns verdächtig
bekannt vor. Als er uns schließlich erreicht, grüßt uns der selbe
Fahrer welcher uns am Vortag, wohl wissend grinsend, in unser
Abenteuer geschickt hatte. Dieses mal sind die Passagiere jedoch
andere. Ein einzelner älterer Mann und ca. 20 Schafe für die der
Fahrer die Sitzreihen im Rückraum entfernt hat. Unsere Rucksäcke
werden aufs Dach gebunden und kurz darauf befinden wir uns gemeinsam
auf dem Rückweg in die Zivilisation.
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