Mittwoch, 29. August 2012

Jenseits des Flusses

Im Wakhantal. Nur einen Steinwurf entfernt.

Ein schmaler Fluss durchschneidet ein Tal. An beiden Ufern gleicht sich die Umgebung. Steil aufsteigende Felsformationen die immer wieder von kleinen bewohnten, grünen, Flächen unterbrochen werden. Das jeweilige Gesamtbild unterscheidet sich jedoch etwas. Auf der einen Seite des Ufers reihen sich Strommasten aneinander die man auf der anderen Seite vergeblich sucht. Auf der einen Seite kämpfen sich Geländewagen mühsam über die holprige Straße, auf der anderen wandern Eselkarawanen entlang eines 1 Meter breiten staubigen Pfades. Auf der einen Seite wohnen Menschen in Steinhäusern, gegenüber in Behausungen gebaut aus Lehm und Stroh. Es ist ein Fluss der eine Grenze markiert. Bei der einen Seite des Ufers handelt es sich um Tadschikistan, eines der ärmsten Länder der Welt, bei der anderen um Afghanistan.

Das erste das ich zu hören bekomme als die Straße aus Dushanbe kommend das erste mal auf den Fluss Wakhan und damit die afghanische Grenze trifft ist, dass man bei einem Halt unter keinen Umständen in Richtung Ufer gehen sollte. Stellenweise ist die tadschikische Seite noch immer vermint. Es die ehemalige Südgrenze der Sowjetunion und nachdem diese ihre Bemühungen aufgab auch die andere Seite zu vereinnahmen wurde ein enger Minengürtel geschnürt. Die Angst dass die radikalen Taliban Einfluss auf die ebenfalls muslimisch geprägten Länder Zentralasien nehmen war zu allen Zeiten groß. Sie ist es bis heute. Selbst Boris Jelzin sagte noch in den 90er Jahren „Jeder sollte verstehen dass dies effektiv die Grenze Russlands ist“

Obwohl es eine natürlich geschaffene Grenze ist, waren die Bevölkerungsgruppen auf beiden Seiten über Jahrhunderte stark miteinander verbunden. An vielen Stellen ist der Fluss nur 30-40 Meter breit, also nur etwa einen Steinwurf. Eine Brücke war da schnell gebaut. Persönlich bin ich ganz froh dass es meist mehr als einen Steinwurf ist. Auch wenn viele afghanischen Kinder jenseits des Flusses mir fröhlich zuwinken, versuchen es doch auch einige ob ihr auserkorenes Wurfgeschoss es nicht doch über die Fluten schafft. Bis heute floriert der Handel in diesem Grenzgebiet. Zwei Grenzübergänge befinden sich im Wakhantal. In der Stadt Ishkashim im Süden gibt es einen berühmten Sonntagsbazar auf ein dem reger Austausch der Waren beider Länder stattfindet. Gerüchten zufolge werden hier, mithilfe von Schmiergeldern, große Mengen an Opium und Heroin über die Grenze geschmuggelt, welche sich dann wiederum auf den langen Weg in den Westen machen.

Abseits der beiden Grenzen erstaunt es mich, wie sehr abseits gelegen vor allem die afghanische Seite doch ist. Immer wieder beobachte ich alte afghanische Männer die ihre störrischen Esel über den schmalen Staubpfad scheuchen, wohl wissend dass die nächste Ansammlung von Behausungen zig Kilometer weit entfernt liegt. Was hat er vor? Um die nächste Stadt zu erreichen muss er tagelang diesem Pfad, entlang unangenehmer Steilküsten, folgen. Wer hier an Dinge kommen will die man nicht selber herstellen kann muss einiges in Kauf nehmen. Vielleicht ist aber aber auch eine günstige Gelegenheit dem tristen Alltag der Einöde zu entkommen.

Die Jungen Afghanen haben dafür eine bessere und vor allem zeitsparende Methode entwickelt. Ein junger tadschikischer Tourguide erklärt mir eines Tages ihr System. Viel einfacher als tagelang zu wandern ist es ein illegales Kleinhandelssystem mit den Leuten am andern Ufer aufzubauen. Die Afghanen besorgen sich tadschikische SIM-Karten, da dieses Netzwerk auch die afghanische Seite abdeckt, und bauen so Kontakt auf. Die ansässigen tadschikischen Gelegenheitshändler sorgen dafür dass die Waren über den Fluss gelangen. Shampoo und andere, nicht zerbrechliche, Dinge werden einfach geworfen. Dass in Afghanistan jedoch auch die Nachfrage nach verbotenem hartem Alkohol groß ist macht die Sache schwieriger. Hierfür benutzen sich mobile Seilkonstruktionen oder füllen diesen in Plastikflaschen um. Es folgt die Bezahlung. Mit was zahlt ein junger Afghane, der nur das hat was er herstellen kann und sich selbst Shampoo illegal besorgen muss? Opium. Einfach zu werfen und die Nachfrage in Tadschikistan ist wohl auch auf lange Zeit gesichert. Fertig ist ein funktionierendes Handelssystem.

Einige Tage verbringe ich mit Polly im Wakhantal und treffe dort auf durchgehend warmherzige Menschen. Bei Wanderungen können wir nicht ein Dorf durchqueren ohne dutzende Tee-Einladungen der Einwohner zu erhalten. Es sind Menschen die eigentlich nichts haben und doch bedeutet Tee immer einen vollgestellten Tisch, mit allem was nur irgendwie herbeigezaubert werden kann. Es sind immer angenehme, wenn auch wohl bekannte Gespräche. Früher war noch alles besser. Früher heißt in diesem Fall in der Zeit der Sowjetunion, als diese noch für Arbeit, Straßen und Sozialversorgung sorgten. Und überhaupt sei es ohne die Russen jetzt schlichtweg langweilig. Verständlich in einem der ärmsten Länder der Welt, für mich aber vor allem skurril und amüsant. Solche Loblieder auf das Sozialistische System hört man selten in westlichen, kapitalistischen, Gefilden. Dass auf der anderen Seite des Flusses die Afghanen, mit ihren Schafherdenm immer so freundlich grüßen und von den Tadschiken als ihre Brüder und Schwestern bezeichnet werden macht die Sache nur noch interessanter. Vielleicht sollte ich mich doch über ein Afghanisches Visa informieren. Wenn nicht heute, beim nächsten mal bestimmt. Ist ja nur einen Steinwurf entfernt.






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