Im Wakhantal. Nur
einen Steinwurf entfernt.
Ein schmaler
Fluss durchschneidet ein Tal. An beiden Ufern gleicht sich die
Umgebung. Steil aufsteigende Felsformationen die immer wieder von
kleinen bewohnten, grünen, Flächen unterbrochen werden. Das
jeweilige Gesamtbild unterscheidet sich jedoch etwas. Auf der einen
Seite des Ufers reihen sich Strommasten aneinander die man auf der
anderen Seite vergeblich sucht. Auf der einen Seite kämpfen sich
Geländewagen mühsam über die holprige Straße, auf der anderen
wandern Eselkarawanen entlang eines 1 Meter breiten staubigen Pfades.
Auf der einen Seite wohnen Menschen in Steinhäusern, gegenüber in
Behausungen gebaut aus Lehm und Stroh. Es ist ein Fluss der eine
Grenze markiert. Bei der einen Seite des Ufers handelt es sich um
Tadschikistan, eines der ärmsten Länder der Welt, bei der anderen
um Afghanistan.
Das erste das ich
zu hören bekomme als die Straße aus Dushanbe kommend das erste mal
auf den Fluss Wakhan und damit die afghanische Grenze trifft ist,
dass man bei einem Halt unter keinen Umständen in Richtung Ufer
gehen sollte. Stellenweise ist die tadschikische Seite noch immer
vermint. Es die ehemalige Südgrenze der Sowjetunion und nachdem
diese ihre Bemühungen aufgab auch die andere Seite zu vereinnahmen
wurde ein enger Minengürtel geschnürt. Die Angst dass die radikalen
Taliban Einfluss auf die ebenfalls muslimisch geprägten Länder
Zentralasien nehmen war zu allen Zeiten groß. Sie ist es bis heute.
Selbst Boris Jelzin sagte noch in den 90er Jahren „Jeder sollte
verstehen dass dies effektiv die Grenze Russlands ist“
Obwohl es eine
natürlich geschaffene Grenze ist, waren die Bevölkerungsgruppen auf
beiden Seiten über Jahrhunderte stark miteinander verbunden. An
vielen Stellen ist der Fluss nur 30-40 Meter breit, also nur etwa
einen Steinwurf. Eine Brücke war da schnell gebaut. Persönlich bin
ich ganz froh dass es meist mehr als einen Steinwurf ist. Auch wenn
viele afghanischen Kinder jenseits des Flusses mir fröhlich
zuwinken, versuchen es doch auch einige ob ihr auserkorenes
Wurfgeschoss es nicht doch über die Fluten schafft. Bis heute
floriert der Handel in diesem Grenzgebiet. Zwei Grenzübergänge
befinden sich im Wakhantal. In der Stadt Ishkashim im Süden gibt es
einen berühmten Sonntagsbazar auf ein dem reger Austausch der Waren
beider Länder stattfindet. Gerüchten zufolge werden hier, mithilfe von
Schmiergeldern, große Mengen an Opium und Heroin über die
Grenze geschmuggelt, welche sich dann wiederum auf den langen Weg in
den Westen machen.
Abseits der
beiden Grenzen erstaunt es mich, wie sehr abseits gelegen vor allem
die afghanische Seite doch ist. Immer wieder beobachte ich alte
afghanische Männer die ihre störrischen Esel über den schmalen
Staubpfad scheuchen, wohl wissend dass die nächste Ansammlung von
Behausungen zig Kilometer weit entfernt liegt. Was hat er vor? Um die nächste Stadt zu erreichen muss er tagelang diesem Pfad, entlang
unangenehmer Steilküsten, folgen. Wer hier an Dinge kommen will die
man nicht selber herstellen kann muss einiges in Kauf nehmen. Vielleicht ist aber aber auch eine günstige Gelegenheit dem tristen
Alltag der Einöde zu entkommen.
Die Jungen
Afghanen haben dafür eine bessere und vor allem zeitsparende Methode
entwickelt. Ein junger tadschikischer Tourguide erklärt mir eines
Tages ihr System. Viel einfacher als tagelang zu wandern ist es ein
illegales Kleinhandelssystem mit den Leuten am andern Ufer
aufzubauen. Die Afghanen besorgen sich tadschikische SIM-Karten, da
dieses Netzwerk auch die afghanische Seite abdeckt, und bauen so
Kontakt auf. Die ansässigen tadschikischen Gelegenheitshändler
sorgen dafür dass die Waren über den Fluss gelangen. Shampoo und
andere, nicht zerbrechliche, Dinge werden einfach geworfen. Dass in
Afghanistan jedoch auch die Nachfrage nach verbotenem hartem Alkohol
groß ist macht die Sache schwieriger. Hierfür benutzen sich mobile
Seilkonstruktionen oder füllen diesen in Plastikflaschen um. Es folgt die Bezahlung. Mit was zahlt ein junger
Afghane, der nur das hat was er herstellen kann und sich selbst
Shampoo illegal besorgen muss? Opium. Einfach zu werfen und die
Nachfrage in Tadschikistan ist wohl auch auf lange Zeit gesichert.
Fertig ist ein funktionierendes Handelssystem.
Einige Tage
verbringe ich mit Polly im Wakhantal und treffe dort auf durchgehend
warmherzige Menschen. Bei Wanderungen können wir nicht ein Dorf
durchqueren ohne dutzende Tee-Einladungen der Einwohner zu erhalten. Es sind
Menschen die eigentlich nichts haben und doch bedeutet Tee immer
einen vollgestellten Tisch, mit allem was nur irgendwie herbeigezaubert werden kann.
Es sind immer angenehme, wenn auch wohl bekannte Gespräche. Früher
war noch alles besser. Früher heißt in diesem Fall in der Zeit der
Sowjetunion, als diese noch für Arbeit, Straßen und
Sozialversorgung sorgten. Und überhaupt sei es ohne die Russen jetzt
schlichtweg langweilig. Verständlich in einem der ärmsten Länder
der Welt, für mich aber vor allem skurril und amüsant. Solche
Loblieder auf das Sozialistische System hört man selten in
westlichen, kapitalistischen, Gefilden. Dass auf der anderen Seite
des Flusses die Afghanen, mit ihren Schafherdenm immer so freundlich grüßen und
von den Tadschiken als ihre Brüder und Schwestern bezeichnet werden
macht die Sache nur noch interessanter. Vielleicht sollte ich mich
doch über ein Afghanisches Visa informieren. Wenn nicht heute, beim
nächsten mal bestimmt. Ist ja nur einen Steinwurf entfernt.
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